Die Bruderschaft Christi
können wir ihnen unser Geheimnis anvertrauen?«
Hans Steinmeier zuckte mit der Schulter.
Der alte Mann rollte mit seinem Rollstuhl in die Ecke des Zimmers und holte einen Packen Papier hervor. Schließlich kehrte er zum Tisch zurück. »Es war nicht leicht, die alte Schrift zu entziffern. Ein nasroäischer Dialekt. Wir mussten all unser Können aufbieten. Aber wir haben es weitestgehend geschafft. Natürlich befinden sich die Originale in Sicherheit.«
Tom war gespannt. »Chaim Raful wusste, wo wir nach den Schriften suchen mussten. Die römische Legion war nur ein Vorwand.«
»Richtig, mein Sohn«, bestätigte Jungblut. »Auf einem Basar in Damaskus erwarb er von einem Händler ein paar Fragmente einer alten Schrift. Sie war auf Leder geschrieben. Ziegenleder. Chaim ließ sie in der Universität von ein paar Spezialisten untersuchen. Die Fragmente stammten aus der Zeit nach dem ersten Kreuzzug. Viel war nicht mehr lesbar. Aramäisch. Quadratschrift. Er hatte bei Forschungsarbeiten zwei wirkliche Spezialisten kennen gelernt, die dieser Sprache mächtig waren. Allerdings waren es Angehörige der katholischen Kirche. Forschende Pater oder Priester, die der École angehörten. Jener dominikanisch dominierten Schule, die schon für die Ausgrabungen in Qumran verantwortlich war. Doch er vertraute ihnen, denn sie waren zu Suchenden geworden. Obwohl Chaim die römische Kirche abgrundtief hasst, entwickelte er zu diesen Patres eine tiefe Freundschaft. Sie halfen ihm bei den Übersetzungen der Fragmente, doch dafür bezahlten sie mit ihrem Leben. Einer von ihnen wurde grausam gefoltert und als Verräter gekreuzigt. Versteht ihr, als Verräter. Das ist ein deutliches Zeichen, wer hinter den Taten steht.«
Tom verstand. »Wurde der Tote vom Watzmann nicht ebenfalls gekreuzigt und mit dem Kopf nach unten in Richtung Hölle aufgehängt?«
»Richtig, mein Sohn. Deswegen bin ich auch noch voller Hoffnung, dass es sich nicht um meinen guten alten Freund Chaim handelt.«
Steinmeier öffnete die Tür. »Ich mach dann noch einmal eine Runde«, sagte er.
Jungblut nickte. »Nichtsdestotrotz«, fuhr er fort, »gelangte die Nachricht noch an meinen Freund Chaim nach Tel Aviv. Doch die Angaben waren unzureichend. Das Gebiet war groß, sehr groß, deswegen initiierte Chaim diese Ausgrabung im Kidrontal. Die römische Garnison wurde schon vor langer Zeit dort entdeckt, doch dass es sich um das Lager der zehnten Legion handeln könnte, die zur Zeit von Jesus Christus dort gelagert haben soll, wurde von Chaim frei erfunden. Dennoch konnte er den Dekan der Universität davon überzeugen, dass dort gegraben werden musste. Und er fand sogar einige Sponsoren, die sich die Kosten teilten. Schwierig war es nur, die Kirche davon abzuhalten, sich an den Grabungen zu beteiligen. Deswegen kam er auf die Idee, Professor Hawke als namhaften Leiter der Grabung vor Ort zu verpflichten. Jeder kennt seinen integeren Ruf. Noch in der Nacht, als das Grab entdeckt wurde, rief er mich an und sagte, dass sein Schwur nun endlich in Erfüllung gehen würde. Nun könne er sich an denen rächen, die er für den Tod seiner gesamten Familie im Dritten Reich verantwortlich machte. Sie müssen nämlich wissen, dass er in der dunklen Zeit seinen Vater, seine Mutter und auch seine Geschwister verlor. Sie starben in einem Arbeitslager der Nazis. Nur er überlebte. Er wuchs bei einer fremden Familie in Israel auf. Die Kirche hat ihn nicht nur seiner Angehörigen, sondern auch seiner unbeschwerten Kindheit beraubt.«
Der Professor blickte zum Schrank auf die Wasserflasche. Tom verstand, was er wollte, erhob sich und schenkte Wasser nach.
»Es ist eine sehr lange Geschichte, ich hoffe, ich werde Sie und Ihren Freund nicht langweilen.«
Gentilly, Pension Tissot, Frankreich …
Yaara hatte sich im Manuskript Molières bis auf Seite sechshundert vorangekämpft. Es faszinierte sie. Molière hatte seine Behauptungen auf eine solide Grundlage gestellt. Jede These war durch zwei, manchmal sogar drei Indizien untermauert. Das Leben der Templer war wirklich aufregend und rätselhaft gewesen. Doch sie hatten sich zu einem mächtigen Orden entwickelt, dem sich selbst der Papst beugen musste. Yaara freute sich auf die restlichen knapp fünfhundert Seiten.
Am späten Nachmittag verzogen sich die Wolken über Paris, und für ein paar Stunden schien noch die Sonne. Jean hatte nicht zu viel versprochen, Paris war wirklich eine Reise wert. Stundenlang waren sie durch die
Weitere Kostenlose Bücher