Die Bruderschaft Christi
kleinen Gassen geschlendert. Doch dann schmerzten ihre Beine, und sie hatten sich in einem Café in der Nähe des Montmartres erholt. Hundemüde war sie zu Bett gegangen und nach wenigen Seiten des Manuskripts eingeschlafen.
Schweißgebadet fuhr sie plötzlich auf. Ihr Atem raste wie ein Schnellzug auf einer geraden Trasse. Schweißperlen liefen ihr über die Stirn. Sie tastete nach dem Licht. Erst als sie richtig zu sich gekommen war und das Licht das Zimmer durchflutete, beruhigte sie sich ein wenig. Noch immer fassungslos, fuhr sie sich über ihre Stirn. Sie hatte Toms Tod gesehen. Im Traum. Überall war Blut. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Aufgeregt tastete sie nach ihrem Telefon.
46
Rostwaldhütte bei Bischofswiesen, Berchtesgadener Land …
Tom wartete gespannt, bis sich Professor Jungblut mit seinem Rollstuhl eine bequeme und entspannte Position gesucht hatte. Sein Körper fiel locker nach links. Er stützte den linken Arm auf und räusperte sich.
»Nun, junger Mann, dank Ihrer Hilfe ist es gelungen, ein zwei Jahrtausende altes Rätsel zu lösen. Und es wird vielen Leuten nicht gefallen. Was wissen Sie von Jesus Christus, dem Erlöser, wie er in Ihrer Religion genannt wird?«
Tom verschränkte die Arme vor seinem Bauch. »Jesus Christus, der Sohn Gottes, wurde von seinem Vater in unsere Welt gesandt, um uns von allen Sünden zu erlösen und uns an die Auferstehung nach dem Tod zu erinnern. Er wurde von uns Menschen an das Kreuz geschlagen, weil diese Welt noch nicht reif genug war, um seine Lehren zu begreifen.«
Professor Jungblut lächelte. »Das ist die biblische Interpretation, die Ihnen die römisch-katholische Kirche und alle daraus entstandenen Religionsgruppen vorgeben. Doch die Kirche legt nicht alle Fakten auf den Tisch. Sie ist an keiner Diskussion, an keiner wissenschaftlichen Fundierung ihrer These interessiert. Vielmehr noch sabotiert sie seit Jahrhunderten sämtliche Unterfangen, die das Leben von Jesus Christus erhellen sollen. Jesus Christus oder Jehoshua ben Joseph gab es tatsächlich. Er ist keine Ausgeburt der Phantasie, er war real. Nur die Geschichte, die sich um sein Leben rankt, die wurde verändert und irreal glorifiziert, um die Menschen glauben zu machen, er wäre etwas Besonderes. Die Schriftrollen aus dem Grab des Templers beweisen jedoch, dass die Christen seit zwei Jahrtausenden an eine große Lüge glauben.«
Tom zog die Stirne kraus. »Eine Lüge, Jesus ist eine Erfindung der Kirche?«
»Der Jesus, an den Sie glauben, schon. Sehen Sie, der erste Widerspruch steckt doch schon in der Geschichte seiner Geburt. Er wird Jesus von Nazareth genannt. Nun lag Nazareth im damaligen Galiläa, geboren wurde er jedoch im Lande Judäa, knapp 150 Kilometer südlich der Stadt, in der er aufgewachsen sein soll. Nun stand Judäa zum damaligen Zeitpunkt unter der Herrschaft eines römischen Prokurators, während in Galiläa Herodes Antipas herrschte. Weshalb sollte eine hochschwangere Frau den beschwerlichen Weg, eine Reise ins Ungewisse und in die Fremde, die noch dazu mehrere Wochen dauern konnte, auf sich nehmen? Von einer Volkszählung wird in der Bibel berichtet, doch historisch gesehen, gibt es dafür überhaupt keinen Beleg.«
»Auch Galiläa stand unter dem Einfluss Roms«, antwortete Moshav.
Der Professor nickte. »Was stand in dieser Ära nicht unter römischer Herrschaft. Wenngleich es die Römer geschickt anstellten. Sie hielten sich weitestgehend aus den gesellschaftlichen und religiösen Dingen der Länder heraus, die sie besetzt hielten. Das war eines ihrer Erfolgsrezepte für eine lange und dauerhafte Herrschaft. Gallia est omnis divisa in partes tres, heißt es in Cäsars De bello Gallico. Drei Teile umfasste das damalige Land. Dort herrschten Autokraten wie Herodes Antipas oder Phillipus in Galiläa oder Cäsarea Phillipi, und östlich davon lag Dekapolis, das Reich der zehn Städte. Schon alleine die politische Gliederung macht die biblische Reise von Joseph und Maria unsinnig, wenn man nicht wüsste, dass es eine alte Überlieferung gab, in der es heißt, der neue König der Juden würde zu Bethlehem geboren. Und es wäre ein Mann aus dem Geschlechte Davids. Und Josephs Ursprung ist tatsächlich auf die königliche Familie zurückzuführen, so wie dann eben auch Josephs Sohn, Jehoshua, von königlichem Blute war.«
»Das ist alles schön und gut«, unterbrach Tom. »Aber ich denke nicht, dass die Abstammungsurkunde von Jesus in der Grabkammer
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