Die Bruderschaft Christi
nicht viel gefehlt, und er wäre jetzt tot.«
Jean nickte. »Er wird noch bis zum Wochenende in der Klinik bleiben müssen.«
»Du warst bei ihm?«
Jean nickte. »Ich habe ihm versprochen, dass wir ihn nicht alleine lassen.«
Die Amalienstraße zog sich vom Oskar-Miller-Ring in nördliche Richtung. Mehrstöckige Stadthäuser mit überbauten Fenstern, kleinen Erkern und Verzierungen an der Fassade säumten ihren Weg. Schließlich hielt Jean auf einem freien Parkplatz.
»Wir sind da«, sagte er.
Tom konnte es gar nicht erwarten, Yaara in die Arme zu schließen.
Jean führte Tom in ein vierstöckiges Wohnhaus mit grauer Fassade. An den Fenstern fehlten die Vorhänge, das Haus schien leer.
»Ich dachte, so nahe der Universität gibt es keine leeren Wohnungen«, sagte er.
»Das Haus gehört einem Freund. Er will es renovieren lassen. Eigentumswohnungen, verstehst du. Da kommt ganz ordentlich Kohle rein.«
»Dann ist dein Freund wohl ein Spekulant«, scherzte Tom.
»So etwas Ähnliches«, antwortete Jean und schloss die hölzerne Haustür auf. Sie betraten das Haus, und Jean schloss wieder sorgfältig ab. Über die Treppe gingen sie in den dritten Stock. Vom Flur zweigten zwei Wohnungstüren ab. Jean ging auf die rechte Tür zu. Sie war ebenfalls aus massivem, dunklem Eichenholz.
Jean schloss auf und führte Tom in den Flur. Die Wohnung war leer geräumt, die Tapeten fehlten an den Wänden.
»Da hat dein Freund noch ordentlich zu tun«, scherzte Tom.
Jean nickte lächelnd. Gemeinsam betraten sie das Wohnzimmer, in dem eine Couch in der Ecke stand. Yaara saß darauf und hielt die Hände hinter dem Rücken versteckt.
Tom lächelte sie an, doch er erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Yaaras Miene blieb versteinert.
Als Tom die Tür hinter sich ins Schloss fallen hörte, wandte er sich um. Sein Blick fiel auf einen großen, schlanken Mann in einem modischen, beigen Anzug. Er hatte schwarze Haare, war gut aussehend und seine Haut braun gebrannt. Der Mann wirkte beinahe wie ein Fotomodell aus einem Katalog. In seiner Hand lag eine großkalibrige Waffe, die auf Tom gerichtet war.
Tom schaute Jean ungläubig an. »Was ist hier los?«, fragte er.
Jean hob entschuldigend die Hände. »Euch wird nichts passieren, darauf gebe ich euch mein Wort. Wir wollen nur die Schriftrollen und die Applike, dann verschwinden wir. Ich verspreche dir, du wirst uns nie wiedersehen. Also mach jetzt bitte keinen Unfug.«
Tom war fassungslos. Seine Schultern sanken in sich zusammen, er blickte traurig zu Boden. »Ich dachte, du wärst unser Freund. Wie kannst du mit denen gemeinsame Sache machen?«
Jeans sanfte Gesichtszüge nahmen eine unübersehbare Härte an. »Freundschaft, Kameradschaft und Gemeinsamkeit sind etwas sehr Schönes. Ich fühlte mich wirklich wohl in eurer Mitte. Es klingt vielleicht wie eine Phrase, aber das ist die Wahrheit. Doch es gibt Zeiten, da muss man sein Leben höheren Dingen weihen als dem weltlichen Leben.«
Tom nickte. »Ich verstehe«, seufzte er. »Ich habe mich immer gewundert, warum uns die Kerle so dicht auf den Fersen oder manchmal sogar eine Nasenlänge voraus waren. Jetzt ist es mir klar. Du hast von Anfang an zu ihnen gehört. Du warst ihr Verbindungsmann in unseren Reihen, und du hast uns einfach so ans Messer geliefert. Blut klebt an deinen Händen, das ist dir doch hoffentlich klar!«
»Ich weiß, es übersteigt deinen Verstand«, antwortete Jean. »Aber die Lehren Gottes und seines menschgewordenen Sohnes sind weitaus wichtiger als Freundschaft. Mehr als eine halbe Milliarde Menschen vertrauen auf ihn. Niemand hat das Recht, diese Menschen zu enttäuschen. Wir sind alle hier auf Erden, um eine Aufgabe zu erfüllen.«
Tom dachte an Pater Leonardo. »So etwas Ähnliches habe ich schon einmal gehört. Und ich dachte immer, die Kirche steht für Liebe und Brüderlichkeit.«
»Doch wenn sie angegriffen wird, dann kann sie sich wehren. Deshalb gibt es die Bruderschaft Christi, und unsere Traditionen sind beinahe eintausend Jahre alt.«
»Und ihr habt in dieser Zeit unzählige Menschenleben ausgelöscht. Wenn es wirklich einen Gott gibt, dann kann er euer Tun nicht gutheißen. Dann werdet ihr in der Hölle schmoren.«
Jean lächelte. »Gib mir den Schlüssel!«
Freising, Kardinal-Döpfner-Haus …
Bruder Markus hatte angerufen und Pater Leonardo darüber in Kenntnis gesetzt, dass Kardinal Borghese aus Paris eingetroffen war und ein paar Tage im Bereich von München
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