Die Bruderschaft der Black Dagger
Büroschrank zu steigen und auf der anderen Seite im unterirdischen Tunnel herauszukommen, war, wie in den Sonnenschein zu laufen: eine Wohltat. Klar, es waren nur zehn Stunden Freiheit, die vor ihm
lagen, aber unter den richtigen Umständen war das eine Ewigkeit.
Und sie bei Butch zu verbringen, war definitiv die Pause, die er brauchte.
Rasch lief John zum Haupthaus und hielt inne, als er vor den Stufen ankam, die hinauf in die Eingangshalle führten. Tohr hatte gesagt, zur Höhle wären es von dort aus hundertfünfzig Meter … also lief er weiter. Zu seiner Erleichterung stieß er bald auf eine weitere Treppe. Der Tunnel war trocken und notdürftig beleuchtet, aber John war trotzdem nicht gern allein dort unten.
Er hielt sein Gesicht vor das Registrierungsfeld einer Überwachungskamera, drückte auf den Klingelknopf und widerstand mühsam dem Drang, zu winken wie ein Vollidiot.
»Hey, Mann.« Butchs Stimme ertönte glasklar über die Gegensprechanlage. »Freut mich, dass du es einrichten konntest.«
Die Tür wurde aufgedrückt, und John lief schnell die Stufen hinauf. Oben stand Butch in einem schwarz-goldenen Morgenmantel.
Der Kerl besaß die geilsten Klamotten, die John jemals gesehen hatte. Den Unterricht hatte er in einem Nadelstreifenanzug absolviert, der aussah wie aus einer Zeitschrift.
»Am besten duschst du dich in meinem Bad, weil mein werter Mitbewohner, der heute Nacht freihat, gerade sein Ziegenbärtchen jätet.«
»Wenn du es sagst«, rief eine tiefe Männerstimme.
»Du weißt, dass es stimmt. Du leidest unter einer ausgeprägten BN …« Butch warf John einen Seitenblick zu. »Das steht für Bartneurose. Aber hör mal, J-Man, ich wollte in die Stadt fahren - hast du Lust mitzukommen?«
John liebte es, wenn Butch ihn J-Man nannte. Und er liebte es, von einem Kerl wie ihm gebeten zu werden, etwas zu unternehmen.
Also nickte er, und Butch lächelte. »Super. Ich lass mir nämlich noch ein Tattoo machen. Hast du welche?«
John schüttelte den Kopf.
»Vielleicht kriegst du auch eins.«
Ein Tattoo. Mit Butch. Mannomann, diese Nacht entwickelte sich hervorragend.
»Warst du eigentlich schon mal bei uns, John?«, fragte Butch und sah sich um.
Wieder verneinte John, woraufhin der Ex-Cop ihn kurz durch die Wohnung führte. Die Höhle war eindeutig eine Männerzentrale: Möbel standen nicht viele herum, dafür aber reichlich Sporttaschen und eine Legion von Scotch- und Wodkaflaschen. Der Kickertisch war ein Traum. Genau wie der riesige HD-Fernseher und die Wahnsinnscomputeranlage im Wohnzimmer. Außerdem roch es fantastisch, nach Rauch und Leder und Aftershave.
Butch ging voran durch den Flur. »Das ist Vs Zimmer.«
John schielte durch den Türrahmen und sah ein riesiges, flaches Bett mit schwarzer Bettwäsche. Waffen und schwere Stiefel lagen überall verstreut, und es wirkte ungefähr so, als hätte ein Trupp US-Marines eine Bibliothek übernommen.
»Und das hier ist meins.«
John trat in einen kleineren Raum … der vor Männerklamotten schier überquoll. Anzüge und Hemden hingen an rollbaren Kleiderständern. Überall flogen Krawatte und Schuhe rum, und auf der Kommode lagen locker fünfzig Paar Manschettenknöpfe. Man kam sich vor wie in einem Kaufhaus. Einem sehr, sehr teuren Kaufhaus.
»Das Bad gehört dir. Auf dem Spülkasten liegt ein sauberes Handtuch.« Butch nahm ein wuchtiges Kristallwhiskyglas vom Nachttisch und hob es an die Lippen. »Und das mit dem Tattoo solltest du dir überlegen. Das Studio, zu dem ich gehe, ist erste Sahne. Die machen dir was Schönes.«
»Versuchst du hier, die Jugend zu verderben, Bulle?«
John blickte zur Tür. Ein riesiger Mann mit Ziegenbärtchen und Tätowierungen im Gesicht stand auf der Schwelle. Er trug eine Lederhose, ein schwarzes T-Shirt und an der einen Hand
einen Handschuh, und seine Augen hatten das diamantene Weiß eines Huskys, mit einem leuchtend blauen Rand um die Iris.
Bei seinem Anblick schoss John ein Wort durch den Kopf: Einstein. Der Kerl strotzte einfach nur so vor IQ - und man sah es in seinen Augen, diesen durchdringenden, eisigen Augen.
»Das ist mein Mitbewohner Vishous. V, das ist John.«
»Was geht? Ich hab schon viel von dir gehört.« Der Mann streckte John die Hand entgegen, und John schüttelte sie.
»Und was das Tattoo betrifft«, sagte Butch. »Er ist volljährig. Stimmt’s? Über zwanzig.«
»Er sollte noch warten.« V wandte sich in Gebärdensprache an John. Was er perfekt draufhatte. Wenn du dir vor der
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