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Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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zur Tür kam und sie zuschlug, warf sie noch einen letzten Blick auf sie, während sie zu ihr emporstiegen: Schemen ohne Substanz, böse Träume, aus alten Knochen heraufbeschworen. Sie drehte den Schlüssel um, zog ihn aus dem Schloss, geriet dabei ins Stolpern und fiel schmerzhaft aufs Steißbein. Sie betrachtete den Türgriff, rechnete fast damit, dass er sich drehte, wie in einem alten Horrorfilm, doch er tat es nicht. Sie hörte nur ihre Atemzüge, ihren Herzschlag und das Rascheln ihres Morgenmantels, als sie sich über den Boden zu einem Sessel schleppte und sich gegen ihn lehnte.
    Die Türglocke schellte. Sie kreischte vor Schreck. Dann sah sie die Umrisse eines Mannes im Gegenlicht. Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war nach drei. Wo war die Zeit geblieben? Sie rieb sich die Stelle am Kreuz, auf die sie gefallen war, ging zur Tür und zog den Vorhang beiseite, damit sie sehen konnte, wer dort war. Ein Mann, um die sechzig, stand auf dem Podest und zeigte ihr das Profil. Er trug einen schwarzen Hut, den er höflich abnahm, wobei er einen fast kahlen Schädel entblößte, auf dem nur noch wenige graue Haarbüschel saßen. Sie öffnete die Tür, war erleichtert über den Anblick eines anderen Menschen, auch wenn es ein Fremder war, ließ aber die Sicherheitskette vorgelegt.
    »Hallo«, sagte der Mann. »Wir suchen Karen Emory.« Er hatte sich immer noch nicht zu ihr umgedreht, so dass sie sein Gesicht nur von der Seite sehen konnte.
    »Die ist nicht da«, sagte Karen, die die Worte ausstieß, noch bevor sie sich überhaupt darüber klar wurde, dass sie sie ausgesprochen hatte. »Ich weiß nicht, wann sie zurückkommt. Es ist schon spät, deshalb ist sie vermutlich erst morgen früh wieder daheim.«
    Sie wusste nicht, warum sie log, war sich aber bewusst, wie schwach ihre Ausflucht klang. Der Mann wirkte nicht bedrohlich, aber die Geschehnisse im Keller hatten sie schockiert und ihren Überlebensinstinkt geweckt, und außerdem war ihr der Mann unheimlich. Es war falsch gewesen, dass sie die Tür geöffnet hatte, und jetzt musste sie ihn so schnell wie möglich wieder aussperren. Sie hätte am liebsten laut geschrien – sie war gefangen zwischen diesem Mann und den Wesen im Keller. Sie wollte, dass Joel zurückkehrte, auch wenn ihr klar war, dass das Ganze seine Schuld war, dass der Mann seinetwegen hier war, seinetwegen und wegen der Sachen, die im Keller lagerten, denn warum sollte so ein Kerl sonst um drei Uhr morgens vor ihrer Tür stehen. Joel wüsste, was zu tun wäre. Sie würde seine Wut in Kauf nehmen, wenn er doch nur zurückkehren würde.
    »Wir können warten«, sagte der Mann.
    »Tut mir leid, das geht nicht. Außerdem habe ich Gesellschaft.« Eine Lüge kam zur anderen, und nicht einmal in ihren Ohren klang sie überzeugend. Dann dachte sie darüber nach, was der Mann vor ihrer Tür gerade gesagt hatte. Wir suchen Karen Emory. Wir können warten.
    »Nein«, sagte der Mann. »Wir glauben nicht, dass Sie Gesellschaft haben. Wir glauben, dass Sie allein sind.«
    Jetzt blickte sie sich um, um festzustellen, ob außer diesem komischen, grusligen Mann, der noch immer den Hut in der Hand hatte, sonst noch jemand draußen war. Dabei fiel ihr ein, dass sie den Revolver im Keller liegen gelassen hatte.
    »Gehen Sie«, sagte sie. »Gehen Sie, sonst rufe ich die Polizei.«
    Jetzt wandte er ihr das Gesicht zu, und sie sah, wie entstellt er war, wie verunstaltet, und sie hatte das Gefühl, dass dies ebenso sehr von geistiger Verkommenheit wie auch von körperlichem Verfall herrührte. Sie versuchte die Tür zu schließen, doch er hatte den Fuß bereits in den Spalt gestellt.
    »Hübsche Ohrringe«, sagte Herod. »Alt und zu kostbar für jemanden wie Sie.«
    Er griff so schnell durch den Türspalt, dass seine Hand wie ein weißer Schatten wirkte, riss einen der Ohrringe ab und zerfetzte ihr Ohrläppchen. Blut spritzte auf ihren Morgenmantel, und sie wollte unwillkürlich aufschreien, doch er legte ihr die Hand an die Kehle und grub ihr die Fingernägel in die Haut. Er rammte die Schulter mit aller Kraft gegen die Tür, worauf die Kette vom Rahmen riss. Sie wehrte sich gegen ihn und krallte mit den Fingern nach ihm, bis er ihren Kopf an die Wand schlug.
    Einmal: »Du …«
    Ein zweites Mal: »… sollst nicht …«
    Beim dritten Mal nahm sie es kaum noch wahr: »… lügen!«

35
    Karen Emory verlor nicht das Bewusstsein, nicht ganz, und so spürte sie, wie sie an den Haaren über den Boden geschleift

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