Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
zumeist, ansonsten Schaumstoffschnipsel. Sie griff in den erstbesten und stieß auf einen kleinen, zylindrischen Gegenstand, der in Luftpolsterfolie gewickelt war. Sie holte ihn heraus und packte ihn im Schein der Taschenlampe aus. Der Strahl fiel auf die beiden Edelsteine, die in die goldenen Scheiben an beiden Seiten eingelegt waren, auf die unbekannten Zeichen, die in die offenbar aus Elfenbein bestehende Walze geschnitzt waren.
Wieder tastete sie in dem Karton herum und stieß auf eine weitere Walze, dann auf eine dritte. Alle unterschieden sich voneinander, doch eine jede war mit Gold und Edelsteinen besetzt. Da waren noch mehr solche Zylinder, ein Dutzend oder mehr, dazu mindestens ebenso viele goldene Münzen, jede einzeln in Plastik verpackt. Sie wickelte die Zylinder, die sie herausgenommen hatte, wieder ein, legte sie zurück und begab sich zum nächsten Karton. Der hier war schwerer. Sie räumte etwas Stroh beiseite, und darunter kam eine herrlich verzierte Vase zum Vorschein. In einer Kiste daneben, in der einst Weinflaschen transportiert worden waren, lag ein goldener Frauenkopf mit Augen aus Lapislazuli. Sie strich mit dem Finger über das Gesicht, das so naturgetreu aussah, so ebenmäßig. Obwohl sie normalerweise nicht zu den Leuten gehörte, die sich die Mühe machten und Museen besuchten, wurde ihr in diesem muffigen Kelleraum klar, welcher Reiz solchen Artefakten innewohnte, begriff sie ihre ganze Schönheit, die sich über einen so langen Zeitraum hinweg erhalten hatte und von einer Kultur kündete, die längst untergegangen war.
Sie musste wieder an die Ohrringe denken. Sie hatte keine Ahnung, woher Joel sie hatte, aber jetzt wurde ihr klar, dass das hier der große Preis war, von dem er gesprochen hatte, und dass auf diesen Stücken seine ganze Hoffnung für ihrer beider Zukunft beruhte. Mit einem Mal war sie wütend auf ihn, aber auch seltsam erleichtert. Wenn sie Drogen gefunden hätte oder Falschgeld, teure Uhren oder Schmuck, der von einem Juwelier gestohlen worden war, wäre sie von ihm enttäuscht gewesen. Aber diese herrlichen Gegenstände waren so ungewöhnlich, so ausgefallen, dass sie ihre Meinung ändern musste, was ihn anging. Er hatte nicht einmal Bilder an der Wand hängen, bis sie mit ihm zusammengezogen war, und dennoch hatte er solche Sachen in seinem Keller eingelagert? Sie hätte am liebsten laut gelacht und musste sich den Mund zuhalten, damit sie nicht losgluckste. Dann musste sie daran denken, wie Joel im Schneidersitz vor der Kellertür gehockt und auf jemanden eingeredet hatte, der auf der anderen Seite war, und in diesem Moment fiel ihr wieder ein, weshalb sie heruntergekommen war. Ihr Lächeln erstarrte. Sie wollte gerade zu einer der anderen Kisten gehen, als ihr etwas ins Auge fiel, das auf dem Regal links von ihr stand. Es war eindeutig eine Art Kästchen, lose in Luftpolsterfolie eingeschlagen, das inmitten von Farbbüchsen und Gläsern voller Nägel und Schrauben stand. Doch trotz der Verpackung und der unscheinbaren Umgebung wurde sie zu ihm hingezogen. Als sie es berührte, spürte sie, wie es unter ihren Fingern vibrierte. Es erinnerte sie an eine schnurrende Katze.
Sie legte die Taschenlampe und den Revolver auf das Regal und löste die Umhüllung. Dazu musste sie das Kästchen anheben, wobei innen irgendetwas kurz verrutschte. Ihre Befürchtung, Joel könnte herausfinden, dass sie hier unten gewesen war, verflog – sie wollte sich das Kästchen unbedingt ansehen, es öffnen, und begriff in dem Augenblick, da sie es berührte, dass es etwas mit den Stimmen in ihrem Alptraum zu tun hatte, mit dem Gefühl, sich nicht von der Stelle bewegen zu können, eingesperrt zu sein, und mit Joels nächtlichen Gesprächen. Als sich die Luftpolsterfolie nicht lösen ließ, zerrte sie ungeduldig daran, hörte sie zerplatzen, als sie sie zerriss, und endlich lag das Kästchen frei. Sie strich mit der Hand darüber, streichelte es und bewunderte die Verzierungen. Sie hob es hoch und war von seinem Gewicht überrascht. Sie konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie viel allein das Gold, aus dem es bestand, wert war, von seinem Alter einmal ganz abgesehen. Mit einer Fingerspitze betastete sie die raffinierten Schlösser in Spinnengestalt, die den Deckel festhielten. Sie sah keine Schlüssellöcher, lediglich Haspen, die sich nicht bewegen ließen. Sie wurde zusehends ungehalten, klopfte ohne Sinn und Verstand mit den Fingernägeln an dem Metall herum. Dann brach
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