Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
von Joels Jacken, die im Flur hingen, stieß aber nur auf Staub, ein paar Münzen und eine alte Tankstellenquittung.
Schließlich nahm sie sich Joels Kleiderschrank vor, war sich aber dabei bewusst, dass sie zu weit ging. Sie tastete die Taschen seiner Anzüge ab, griff in die Schuhe, fuhr mit den Fingern unter die gestapelten T-Shirts und Socken, suchte unter der Unterwäsche. Alles war sauber und ordentlich, eine Erinnerung an Joels Militärdienst. Irgendwann vergaß sie den Schlüssel und genoss die heimliche Suche an sich und was sie über den Mann herausfand, den sie liebte. Sie entdeckte Fotos aus seiner Militärzeit und Briefe von einer ehemaligen Liebsten, von denen sie nur ein paar wenige las, weil sie den Gedanken nicht ertrug, dass jemand Joel genauso geliebt haben könnte wie sie, und außerdem wütend war, weil er diese Briefe aufgehoben hatte. Sie blätterte darin herum, bis sie auf den stieß, den sie suchte, einen Brief, der mit einem schlichten »Lieber Joel« anfing und in dem sie ihm mitteilte, dass sie es nicht mehr aushalte, aufgrund seines Militärdienstes ständig getrennt von ihm leben zu müssen, und die Beziehung beenden wolle. Der Brief stammte vom März 2007. Karen fragte sich, ob die Frau, die mit Faye unterschrieben hatte, einen anderen gefunden hatte, bevor sie diesen Brief schrieb. Ein sechster Sinn, sagte ihr, dass dem so war.
In einer Stahlkassette am Boden des Schranks fand sie eine Ruger-Pistole und eine Reihe von Blankwaffen, darunter auch ein Bajonett. Sie erschauderte beim Anblick der Klingen, der bloßen Vorstellung, dass sie in den Körper eines anderen Menschen gestoßen wurden und Täter und Opfer sich dabei so nahe kamen, dass sie nur durch eine Spanne Metall voneinander getrennt waren.
Neben den Messern lag etwas, das aussah wie der Schlüssel für die Kellertür.
Sie nahm ihn mit nach unten und steckte ihn ins Schloss, drehte ihn mit der linken Hand um und hatte den kleinen Lady Smith in der rechten. Der Schlüssel ließ sich mühelos bewegen. Sie öffnete die Tür und nahm mit einem Mal die Stille wahr, die im Haus herrschte.
Der Geflüster war verstummt.
Vor ihr führte die Kellertreppe hinab in die Dunkelheit, und nur die ersten drei Stufen lagen im Schein des Flurlichts. Sie tastete nach der Lampenschnur, die von der Decke hing, fand sie und zog daran, worauf das Licht anging und sie bis zum Fuß der Treppe blicken konnte. Unten baumelte eine weitere Schnur, mit der sich die Beleuchtung für den Rest des Kellers einschalten ließ.
Langsam und vorsichtig stieg sie die Stufen hinab. Sie wollte auf keinen Fall ins Stolpern geraten, nicht hier, nicht jetzt. Sie wusste nicht, was schlimmer wäre – wenn Joel nach Hause käme und sie mit gebrochenem Bein am Boden fände oder wenn er überhaupt nicht zurückkäme und sie da unten liegen würde und darauf warten müsste, dass die Stimmen wieder anfingen zu flüstern und sie allein mit ihnen wäre.
Sie verdrängte den Gedanken. Er machte sie nur noch nervöser. Auf der vorletzten Stufe stellte sie sich auf die Zehenspitzen, hielt sich am Geländer fest und zog an der zweiten Schnur. Nichts tat sich. Sie versuchte es erneut, zog einmal, dann ein zweites Mal. Vor ihr lag nur Dunkelheit, desgleichen links, wo sich der Keller fast bis zur anderen Seite des Hauses erstreckte.
Verdammt, dachte sie, dann fiel ihr ein, dass Joel, der stets praktisch dachte, für genau so einen Fall stets eine Taschenlampe auf dem Regal unmittelbar hinter der letzten Treppenstufe aufbewahrte. Sie hatte sie gesehen, als er ihr an dem Tag, an dem sie bei ihm eingezogen war, den Keller gezeigt hatte. Sie tastete mit der Hand an der Eisenstrebe entlang und war überrascht, wie eisig sich das Metall anfühlte, dann strich sie langsam über das Regalbrett und achtete darauf, dass sie nicht versehentlich an die Taschenlampe stieß und sie zu Boden warf. Irgendwann bekam sie sie zu fassen. Sie drehte sie herum, worauf der Strahl an die Decke fiel, Spinnweben und eine Spinne erfasste, die in einen dunklen Winkel davonflitzte. Doch der Strahl war schwach. Die Batterien mussten ausgetauscht werden. Aber sie wollte ohnehin nicht lange hier unten bleiben, nur so lange wie nötig.
Sie entdeckte die neuen Holzkisten und Kartons fast auf der Stelle. Joel hatte sie in der hinteren Ecke übereinandergestapelt. Barfuß und in der kalten Kellerluft fröstelnd tappte sie hin. Sämtliche Kartons waren offen und voller Verpackungsmaterial: Stroh und Holzwolle
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