Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
näherte sich ihr, und sie schreckte vor ihm zurück.
»Mein Name ist Herod«, sagte er. »Du brauchst keine Angst vor mir haben. Ich werde dir nicht noch einmal weh tun, nicht, solange du meine Fragen ehrlich beantwortest.«
Doch sie schaute an ihm vorbei, blickte sich im Zimmer um, und ihre Nasenflügel zuckten, denn sie machte sich darauf gefasst, dass Clarence mit seinem Krebsatem und seinen schmutzigen, tastenden Fingern wiederauftauchen könnte. Der alte Mann musterte sie neugierig.
»Aber du hast gar keine Angst vor mir, nicht wahr?«, sagte er. »Denn du hast ihn gesehen, darum geht es, darum geht’s. Ach, du kannst ihn ruhig Clarence nennen, wenn du magst, aber er hat viele Namen. Für mich ist er der Käpt’n.«
Er legte die Hand auf ihren Kopf und streichelte ihre Haare, und sie zitterte unter seiner Berührung, denn alles, was in Clarence steckte, steckte auch in ihm. »Obwohl du auch vor dem Käpt’n keine Angst haben musst, es sei denn, du hast irgendetwas angestellt, irgendetwas ganz, ganz Schlimmes.«
Er ließ seine Hand von ihrem Kopf auf die Schulter gleiten und grub die Nägel tief hinein, so dass sie zusammenzuckte und ihm ins Gesicht schaute, wie gebannt auf die pfeilspitzenförmige Wunde an seiner Oberlippe starrte, diesen rot leuchtenden Entzündungsherd.
»Aber ich nehme an, dass selbst eine kleine Hure wie du, so lüstern und liederlich sie auch ist, keinen Grund zur Sorge hat, denn der Käpt’n hat Wichtigeres im Sinn. Du bist belanglos, und solange du das auch bleibst, wird sich der Käpt’n von dir fernhalten. Und wenn nicht, nun …«
Er legte den Kopf schräg, als horchte er auf eine Stimme, die nur er hören konnte, dann rang er sich ein unangenehmes Grinsen ab. »Der Käpt’n sagt, ich soll dir ausrichten, dass es ein Abflussrohr mit deinem Namen gibt und einem Freund, der sich danach sehnt, dass ihm jemand Gesellschaft leistet.« Er zwinkerte. »Der Käpt’n sagt, der gute, alte Clarence mochte immer warme, feuchte Orte und dass sich der Käpt’n diesbezüglich um ihn gekümmert hat, denn der Käpt’n hält immer sein Wort. Clarence hat jetzt ein tiefes, dunkles, feuchtes Loch ganz für sich allein, wo er auf das Mädchen wartet, das davongekommen ist. Aber das ist der Haken bei den Versprechen des Käpt’ns: Man muss das Kleingedruckte lesen, bevor man auf der gepunkteten Linie unterschreibt. Clarence war das nicht klar, deswegen ist er so lange allein gewesen. Aber mir geht das nicht so. Der Käp’n und ich stehen einander sehr nahe. Wir sprechen mit einer Stimme, könnte man sagen.«
Er stand auf, ohne sie loszulassen, und zerrte sie auf die Beine.
»Jetzt habe ich ein paar schlechte Nachrichten für dich, aber du wirst sie tapfer entgegennehmen: Dein Freund, dieser Joel Tobias, wird deine fleischlichen Gelüste so schnell nicht wieder befriedigen können. Er und ich haben miteinander zu reden versucht, aber er wollte nicht recht mit der Sprache heraus, deshalb war ich gezwungen, ein bisschen Druck auf ihn auszuüben.«
Er legte die linke Hand an ihre Wange und kniff behutsam hinein. Ihre Haut fühlte sich eiskalt an, und sie stieß ein leises, animalisches Winseln aus.
»Ich glaube, du weißt, wovon ich rede. Ehrlich gesagt, war es für ihn ein Segen, als das Ende kam.«
Ihre Beine gaben nach. Sie wäre hingefallen, hätte Herod sie nicht festgehalten. Sie versuchte ihn wegzustoßen, doch er war stärker als sie. Karen fing an zu weinen, doch plötzlich griff er ihr in die Haare und zog ihren Kopf so weit zurück, dass sie ihr Genick knacken hörte.
»Lass das«, sagte Herod. »Wir haben keine Zeit zum Trauern. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann, und die Zeit steht nicht auf meiner Seite. Wir müssen etwas erledigen, dann kannst du um ihn trauern, so viel du willst.«
Er führte sie zur Kellertür, streckte die rechte Hand aus und legte sie an das Holz.
»Weißt du, was da unten ist?«
Karen schüttelte den Kopf. Sie weinte noch immer, aber trotz allen Kummers war sie wie benommen, so als ließe eine Betäubung allmählich nach und der Schmerz würde langsam spürbar.
»Du lügst schon wieder«, sagte Herod. »Aber in gewisser Weise sagst du auch die Wahrheit, denn ich glaube nicht, dass du wirklich weißt, was da unten ist. Aber du und ich werden es gemeinsam herausfinden. Wo ist der Schlüssel?«
Langsam griff sie in die Tasche ihres Morgenmantels und reichte ihm den Schlüssel.
»Ich will nicht noch mal in den Keller gehen«, sagte sie. Sie fand,
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