Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
bewegte.
Jimmy hingegen trug einen schwarzen Leichenbestatteranzug zu einem blauen Hemd mit offenem Kragen. Er war dünn und hatte graue Haare in diversen Schattierungen, die mit einer leicht nach Gewürznelken riechenden Pomade angeklatscht waren. Er war eins zweiundachtzig groß, aber etwas gebeugt, so dass es aussah, als kämpfe er gegen eine Last, die für alle unsichtbar war, ihn aber niederdrückte. Sein rechter Mundwinkel war ständig nach oben gezogen, als wäre das Leben eine einzige Komödie und er lediglich ein Zuschauer. Jimmy war kein übler Kerl für einen Schmuggler und Drogendealer. Er war ein paar Mal mit meinem Großvater aneinandergeraten, der Staatspolizist war und Jimmy von früher her kannte, aber sie hatten sich gegenseitig geachtet. Jimmy war zur Beerdigung meines Großvaters gekommen, und das Beileid, das er mir ausgesprochen hatte, war aufrichtig gewesen. Seither hatte ich ab und zu mit ihm zu tun gehabt, aber unsere Wege kreuzten sich nur gelegentlich, und ein- oder zweimal hatte er mir die richtige Richtung gewiesen, wenn ich eine Frage hatte, die beantwortet werden musste. Voraussetzung war allerdings, dass niemand etwas zuleide getan und kein Gesetzesvertreter eingeschaltet wurde.
Er blickte von seiner Zeitung hoch, und das leichte Lächeln leuchtete auf wie eine Glühbirne, wenn die Stromzufuhr einen Moment lang unterbrochen war.
»Solltest du nicht eine Maske tragen?«, fragte er.
»Warum? Hast du irgendwas, das es sich lohnt zu stehlen?«
»Nein, aber ich dachte, alle Rächer tragen Masken. Damit die Leuten sagen können: ›Wer war der maskierte Rächer?‹, wenn du in die Nacht verschwindest. Ansonsten bist du bloß ein Typ, der sich für sein Alter zu jugendlich anzieht, seine Nase in Sachen steckt, die ihn nichts angehen, und sich dann wundert, wenn sie blutig geschlagen wird.«
Ich nahm mir einen Hocker gegenüber von ihm. Er seufzte und faltete seine Zeitung zusammen.
»Meinst du wirklich, dass ich mich für mein Alter zu jugendlich anziehe?«, fragte ich.
»Wenn du mich fragst, ziehen sich heutzutage alle zu jugendlich an, wenn sie überhaupt etwas anziehen. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo sich nicht mal die Nutten in den Bars so angezogen hätten wie einige junge Mädchen, die ich sommers wie winters hier vorbeigehen sehe. Ich möchte ihnen am liebsten Mäntel kaufen, damit sie warm eingepackt sind. Aber was versteh ich schon von Mode? Ich finde, dass jeder Anzug, der nicht schwarz ist, aussieht wie irgendwas, das Liberace tragen würde.« Er streckte die Hand aus, und ich schlug ein. »Wie geht’s dir, mein Junge?«
»Ziemlich gut.«
»Bist du noch mit dieser Frau zusammen?«, fragte er. Er meinte Rachel, die Mutter meiner Tochter Sam. Ich wollte nicht so tun, als wäre ich überrascht. Niemand überlebte so lange wie Jimmy Jewel, wenn er nicht jeden im Auge behielt, der seinen Weg kreuzte.
»Nein. Wir haben uns getrennt. Sie ist in Vermont.«
»Hat sie das Kind mitgenommen?«
»Ja.«
»Das tut mir leid.«
Das war nicht das Gesprächsthema, das ich weiterverfolgen wollte. Ich schnupperte vorsichtig.
»Deine Bar stinkt«, sagte ich.
»Meine Bar riecht prima«, sagte Jimmy. »Meine Gäste sind es, die stinken, aber um den Gestank loszuwerden, müsste ich sie loswerden, und dann wären bloß ich und meine Gespenster da. Ach, und Earle riecht auch nicht so gut, aber das ist möglicherweise erblich.«
Earle ging nicht darauf ein, sondern legte das Gesicht nur in ein paar weitere Falten und fuhr fort, den Dreck zu verteilen.
»Willst du was trinken? Geht aufs Haus.«
»Ich glaube nicht. Ich habe gehört, dass du deinen Schnaps wässerst, damit er besser schmeckt.«
»Du hast vielleicht Mumm. Kommst rein und ziehst über mein Lokal her.«
»Das ist kein ›Lokal‹, sondern ein Steuerabschreibungsunternehmen. Wenn es jemals Geld abwerfen würde, würde dein Imperium zusammenbrechen.«
»Ich habe ein Imperium? Hab ich gar nicht gewusst. Wenn ja, würde ich mich besser kleiden und mir teurere schwarze Anzüge kaufen.«
»Du hast jemanden, der dir Kaffee bringt, ohne dass du ihn drum bitten musst, und anderen Leuten ebenso ungebeten den Schädel einschlägt. Das ist doch was.«
»Dann willst du also einen Kaffee?«, fragte Jimmy.
»Ist er genauso schlecht wie alles andere hier drin?«
»Schlimmer, aber ich hab ihn selber gekocht, folglich weißt du wenigstens, dass meine Hände sauber sind. Buchstäblich, nicht im übertragenen Sinn.«
»Ein
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