Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
nicht einen Tag gesessen«, sagte ich. »Vielleicht wäre er nach zwei Jahren im Kahn ein bisschen weniger empfindlich.«
»Er war damals noch jünger«, sagte Jimmy. »Heute würde er anders damit umgehen.«
»Das bringt sie auch nicht zurück.«
»Nein, das nicht. Du bist ein strenger Richter, Charlie. Die Menschen haben das Recht, sich zu ändern, aus ihren Fehlern zu lernen.«
Er hatte recht, und es stand mir nicht zu, mit dem Finger auf andere zu zeigen, auch wenn ich das nicht gern zugab.
»Warum hast du den Laden stehen lassen?«, fragte ich.
»Den Moon? Aus Sentimentalität vielleicht. Er war meine erste Bar. Ein Drecksloch, aber das sind sie alle. Ich kenne mein Lokal, und ich kenne meine Gäste.«
»Und?«
»Er ist eine Mahnung. Für mich, für Earle. Wenn wir ihn abreißen, vergessen wir alles.«
»Weißt du irgendwas über Jandreau, den Staatspolizisten, der dort umgekommen ist?«
»Nein, und ich habe schon alle Fragen beantwortet, die mir die Cops deswegen um die Ohren gehauen haben. Als ich dich zum letzten Mal gesehen habe, hast du keine Dienstmarke getragen, es sei denn, da stand ›Neugieriges Arschloch‹ drauf.«
»Und Tobias?«
»Sieht so aus, als ob er sich bedeckt halten wollte, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte. Er hat einen Monat lang keine Fuhren außerhalb des Staats gemacht. Jetzt hat er wieder damit angefangen.«
»Irgendeine Ahnung, welche Ziele er in Kanada anfährt?«
»Das sind die üblichen Touren: Tierfutter, Papierprodukte, Maschinenteile. Ich könnte dir vermutlich eine Liste besorgen, aber das nützt dir nichts. Es sind saubere Geschäfte. Entweder habe ich zu spät rumgefragt, oder diese Leute sind schlauer, als sie wirken.«
»Leute? Reden wir von Komplizen?«
»Ein paar Kameraden vom Militär. Sie sind mit ihm auf Tour gegangen. Für einen Mann mit deinen Fähigkeiten sollte es nicht schwer sein, sie ausfindig zu machen.« Er griff zu seiner Zeitung und fing an zu lesen. Unser Gespräch war zu Ende. »War schön, wieder mal mit dir zu reden, Charlie. Ich bin sicher, du findest raus, ohne dass Earle dir den Weg zeigen muss.«
Ich stand auf und zog meine Jacke an.
»Was befördert er, Jimmy?«
Jimmy zog den rechten Mundwinkel ebenso hoch wie den linken, so dass ein Krokodilslächeln entstand.
»Die Sache kriegen wir in den Griff. Vielleicht sag ich dir Bescheid, wie es läuft …«
7
Traute ich Jimmy Jewel? Ich war mir nicht sicher. Mein Großvater hatte ihn einst als einen Mann beschrieben, der log, indem er Sachen verschwieg, es aber vorzog, nicht direkt zu lügen. Natürlich machte Jimmy beim amerikanischen Zoll und den Ordnungskräften eine Ausnahme, aber auch im Umgang mit ihnen neigte er dazu, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, damit Unwahrheiten gar nicht erst nötig wurden.
Aber aufgrund dessen, was ich erfahren hatte, war mir jetzt auch klar, dass sich Joel Tobias auf Jimmy Jewels Radar befand, was ein bisschen so war, als würde man von einer Militärdrohne verfolgt – sie schwebte womöglich die meiste Zeit nur über einem, aber man wusste nie, wann sie zuschlagen würde.
Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass Tobias’ Sattelzug noch bei dem Lagerhaus und sein Silverado beim Haus stand, schaute ich auf eine Schale Gumbo im Bayou Kitchen an der Deering Avenue vorbei.
Jimmy hatte gesagt, dass Joel Tobias von ehemaligen Soldaten unterstützt wurde, was einen ganzen Haufen neuer Probleme mit sich brachte. Maine war ein Veteranenstaat – hier lebten mehr als 150 000 Veteranen, und da waren diejenigen, die man für den Krieg im Irak und in Afghanistan angeworben hatte, noch nicht mitgezählt. Der Großteil von ihnen lebte fernab der großen Städte in ländlichen Gegenden wie dem County. Meiner Erfahrung nach legten viele von ihnen keinen großen Wert darauf, mit Außenstehenden über ihre Aktivitäten zu sprechen, ob legal oder nicht.
Ich rief von meinem Tisch aus Jackie Garner an und teilte ihm mit, dass ich Arbeit für ihn hätte. Obwohl er schon weit über vierzig war, wohnte Jackie immer noch bei seiner Mutter, die seine Vorliebe für Sprengstoff und andere selbstgebastelte Munition tolerierte, allerdings strikt darauf achtete, dass er sie nicht ins Haus mitbrachte. In letzter Zeit hatte sich jedoch eine gewisse Spannung in diese heimelige ödipale Beziehung gestohlen, die dadurch ausgelöst wurde, dass Jackie mit einer Frau namens Lisa ging, die ihren neuen Beau anscheinend sehr mochte und ihn drängte, mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher