Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Ausweg gesehen hatte, als sich das Leben zu nehmen? Hatte er jemanden gefunden, der ihm so treu ergeben war, dass er bei ihm blieb, als er den vermeintlich tödlichen Schuss abgab, und ihm dann, als erkannte, dass er ihm missglückt war, den Coup de grâce gab? Unwahrscheinlich. Also sollte man eher davon ausgehen, dass man ihn zum Selbstmord gezwungen hatte, dass jemand anders Webbers Finger an den Abzug gelegt und Druck ausgeübt hatte, um ihm die erste Kugel in den Schädel zu jagen, und dass ihn dann dieselbe Person erledigt hatte, statt ihn qualvoll auf dem Küchenboden sterben zu lassen.
Und dennoch, und dennoch …
Wer versucht einen Mord wie einen Selbstmord aussehen zu lassen und macht dann alles zunichte, indem er einen zweiten Schuss abgibt?
Ein Amateur, genau. Ein Amateur oder jemand, der sich nicht um den äußeren Anschein schert. Außerdem waren da noch die Weingläser, drei alles in allem – eines am Boden zertrümmert, die beiden anderen auf dem Küchentisch. Aus allen dreien war getrunken worden, und an allen waren Fingerabdrücke. Nein, das stimmte nicht ganz. An zweien waren Webbers Fingerabdrücke, am dritten aber nur Flecken, die fast wie Fingerabdrücke aussahen, aber bei näherer Untersuchung weder Wirbel noch Schleifen oder Bögen aufwiesen. Sie waren ohne jede Papillarlinien, was zu der Vermutung veranlasste, dass zumindest eine Person, die mit Webber im Zimmer war, Handschuhe getragen oder eine Art Pflaster benutzt haben musste, um keine Abdrücke zu hinterlassen. Das Glas wurde zu einer weiteren Untersuchung geschickt, weil man hoffte, eventuell DNA -Spuren daran zu finden. Dabei entdeckte man Speichelreste, in denen man eine ungewöhnliche chemische Verbindung fand – eine Art Droge. Ein kluger Labortechniker, der lediglich aufgrund einer leisen Ahnung vorging, trennte das Medikament und seine Wirkstoffe mittels des Sol-Gel-Verfahrens vom Speichel und stellte fest, dass es sich um 5-Fluorouracil oder 5-FU handelte, einen Arzneistoff, der im Allgemeinen zur Behandlung von Tumoren verwendet wurde.
Daraus ergab sich, dass die zweite Person, die in der Nacht, in der Jeremiah Webber starb, mit ihm in der Küche gewesen war, ein Mann gewesen sein musste, der sich einer Chemotherapie unterzog, was wiederum zu einer Erklärung für die fehlenden Fingerabdrücke führte: Bestimmte Medikamente, die für die Behandlung von Krebs benutzt werden, lösen Entzündungen an Handtellern und Fußsohlen aus, was zu Blasenbildung und Hautabschälung führt, so dass der Betroffene nach einiger Zeit keine Fingerabdrücke mehr aufweist. Leider waren seit der Entdeckung der Leiche schon mehrere Wochen vergangen, als man dies feststellte, so dass sich die späteren Ereignisse nicht mehr verhindern ließen.
Und so begann die Polizei einen Tag, nachdem die Leiche entdeckt worden war, mit der Vernehmung von Webbers Exfrauen, seiner Tochter und seinen Geschäftspartnern. Im Laufe der Zeit stieß man auf mehr als eine Sackgasse, doch die seltsamste von allen war die Korrespondenz in Webbers Akten, die sich auf eine Institution namens »Gutlieb-Stiftung« oder lediglich »die Stiftung« bezog, denn diese Stiftung gab es offenbar nicht. Die Anwälte, die vorgaben, sie zu vertreten, waren Winkeladvokaten mit Löchern in den Schuhen und behaupteten, sie seien niemals jemandem von der Stiftung begegnet. Alle Rechnungen würden per Zahlungsanweisung beglichen, und die gesamte Kommunikation erfolge über Yahoo. Die Frau, die für die Stiftung Nachrichten entgegennahm, arbeitete im hinteren Teil einer Einkaufszeile in Natick, wo sie mit fünf anderen Frauen in einem Kabuff saß, und alle gaben sich als Sekretärinnen und Assistentinnen von Firmen oder Geschäftsleuten aus, deren Büros ihre Autos, ihre Schlafzimmer oder ein Tisch in einem Coffeeshop waren. SecServe, so der Name der Leiharbeitsfirma, die die Sekretärinnen abstellte (ein Name, den man nach Ansicht der Detectives, die im Zusammenhang mit Webbers Tod ermittelten, missverstehen konnte, vor allem, wenn man ihn laut aussprach), teilte der Polizei mit, dass Rechnungen im Zusammenhang mit der Stiftung ebenfalls per Zahlungsanweisung beglichen würden. SecServe hatte niemals Einwände gegen diese Art der Bezahlung erhoben – schließlich war sie rechtlich einwandfrei. Einige andere Kunden der Firma waren bekannt dafür, dass sie mit Taschen voller Münzen bezahlten, und in Anbetracht des derzeitigen Wirtschaftsklimas war der Boss von SecServe, ein Mann
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