Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
haben, sollte eine Warnung an uns beide sein, nur dass du sie nicht zu spüren gekriegt hast.«
Earle war zurückgekehrt und beobachtete uns jetzt. Er wirkte nicht gerade erfreut darüber, dass wir wieder auf den Blue Moon zu sprechen kamen, aber bei Earle konnte man das nur schwer feststellen. Er hatte ein Gesicht wie ein missglücktes Tattoo. Jimmy hingegen war eine Zeitlang geistesabwesend. Als er schließlich das Wort ergriff, klang er alt und müde.
»Vielleicht sollte ich aus diesem Geschäft aussteigen«, sagte er.
Ich wusste nicht, ob er die Bar meinte, das Schmuggeln oder das Leben an sich. Irgendwann würde er aus allem aussteigen, falls das ein Trost war, aber ich behielt meine Gedanken für mich. Ich ließ ihn einfach reden.
»Weißt du, ich habe Geld in dem Kai hier stecken. Ich dachte, es wirft was ab, wenn sie hier anfangen zu bauen, aber jetzt sieht es so aus, als ob das einzige Geld, das ich sehe, von der Versicherung kommt, wenn er zusammenbricht und in die Bucht fällt, und dann reißt mich das Lokal wahrscheinlich mit, so dass ich nichts davon habe.«
Dann tätschelte er sanft und zärtlich die Bar, so wie man einen geliebten, wenn auch aggressiven alten Hund streichelt.
»Ich habe mich immer für einen ehrenwerten Händler gehalten«, fuhr er fort. »Es war ein Spiel, Sachen über die Grenze zu schaffen, zu versuchen, Uncle Sam ein paar Kröten zu klauen. Manchmal sind Leute verletzt worden, aber ich habe mich nach besten Kräften drum bemüht, dass es nicht allzu oft vorkam. Auf Drogen hab ich mich irgendwie nur widerwillig eingelassen, falls du das nachvollziehen kannst, und ich habe Möglichkeiten gefunden, wie ich mein Gewissen beruhigen kann. Aber meistens hab ich gar nicht drüber nachgedacht, um ehrlich zu sein, und es macht mir auch nicht allzu sehr zu schaffen. Das Gleiche gilt für die Leute. Es spielt keine Rolle, ob es Chinesen sind, die in einem Restaurant in Boston einen Job in der Küche suchen, oder Huren aus Osteuropa. Ich bin bloß der Mittelsmann.« Er drehte sich mir zu, damit er meine Reaktion abschätzen konnte. »Vermutlich hältst du mich für scheinheilig oder denkst, dass ich mir bloß was vormache.«
»Ich weiß, was du bist«, sagte ich. »Ich bin nicht hier, um dir Absolution zu erteilen. Ich will bloß eine Auskunft.«
»Mit anderen Worten, ich soll zur Sache kommen.«
»Ja.«
Earle, der instinktiv wusste, dass sein Boss jetzt frisches Öl für sein Getriebe brauchte, rührte sich und goss Jimmy Kaffee nach. Er fand einen zweiten Becher und stellte ihn neben mich. Ich hielt meine Hand darüber, um ihm zu bedeuten, dass ich keinen wollte, und einen Moment lang dachte ich, Earle würde mir den heißen Kaffee über die Finger gießen, um mir klarzumachen, dass es ihm schnurzegal war, was ich wollte oder nicht. Letzten Endes gab er sich damit zufrieden, mir den Rücken zuzukehren, und ging zum anderen Ende der Bar, wo er ein Buch unter dem Tresen vorholte und anfing zu lesen. Es war ein Penguin-Taschenbuch, einer der alten Klassiker mit schwarzem Cover, doch den Titel konnte ich nicht erkennen. Ich hätte gern gesagt, dass es mich nicht wunderte, aber dem war nicht so. Earle kam mir nicht wie ein Typ vor, der großen Wert auf Weiterbildung legte.
Jimmy verfolgte meinen Blick.
»Ich werde alt«, fuhr er fort. »Wir alle. Es gab mal ’ne Zeit, da hätte Earle nie und nimmer ein Buch angerührt, es sei denn, es war ein Telefonbuch und er wollte jemandem ein paar blaue Flecken damit verpassen, aber im Lauf der Jahre sind wir abgeklärter geworden, im Guten wie im Schlechten. Es gab auch mal ’ne Zeit, in der sich Earle nicht so leicht von jemandem wie Joel Tobias hätte überrumpeln lassen, aber der Typ hat ihn überwältigt, ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn er gewollt hätte, hätte er Earle übel zurichten können. Ich hab’s ihm angesehen.«
»Aber er hat es nicht getan.«
»Nein. Er wollte wirklich nur, dass wir ihn in Ruhe lassen, aber was er will, spielt keine Rolle, könnte man sagen. Ich will wissen, was er macht. Es ist wichtig für mein Geschäft, aber es geht auch darum, dass das Gleichgewicht der Kräfte gewahrt bleibt. Zwischen den Mexikanern, den Kolumbianern, den Dominikanern, den Russen, den Cops, mir und so gut wie jedem anderen, der ein Interesse am Transport von Waren über die Grenze hat, herrschen ausgeglichene Verhältnisse. Dieses Gleichgewicht ist sehr labil, und wenn jemand, der die Regeln nicht versteht, daran rummurkst, dann
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