Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
noch einmal das Wort.
»Was würde Joel tun, wenn er wüsste, dass Sie hier gewesen sind?«, fragte sie. Sie klang wie ein trotziges Kind, aber das war nur gespielt. In ihren Augen glitzerten Tränen.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, »aber ich glaube, seine Freunde würden mich möglicherweise umbringen. Was machen Sie, Karen? Warum sind Sie so besorgt, dass es jemand rausfinden könnte?«
Sie schluckte krampfhaft und verzog das Gesicht.
»Weil sie sterben«, sagte sie. »Weil sie alle sterben.«
Und sie schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Im Sailmaker waren immer noch keine Gäste, als ich durch die Glastür spähte, und Jimmy Jewel saß nach wie vor auf dem gleichen Barhocker, aber jetzt lagen Papiere vor ihm verstreut, und er überprüfte mit einem Tischrechner Zahlen.
Das Licht in der Bar veränderte sich ständig. Ab und zu drangen Sonnenstrahlen durch die Düsternis, nur um wieder von ziehenden Wolken verschluckt zu werden, wie silberne Fischschwärme, die in der Dunkelheit des Ozeans verschwanden. Obwohl der Sailmaker mittlerweile geöffnet sein müsste, hatte Jimmy Earle daran gehindert, die Tür aufzuschließen. Der Sailmaker hatte einige Gepflogenheiten des Blue Moon übernommen: Er öffnete möglicherweise vormittags oder um fünf Uhr nachmittags, vielleicht aber auch nicht. Die Stammgäste wussten, dass sie nicht anklopfen durften, um reinzukommen. Sie würden dort einen Platz finden, wenn Jimmy und Earle so weit waren, und sobald sie saßen, würde sie niemand behelligen, es sei denn, sie fielen um und sorgten für eine Schweinerei.
Aber ich war kein Stammgast, deshalb klopfte ich. Jimmy blickte auf und betrachtete mich eine Zeitlang, während er überlegte, ob er davonkäme, wenn er mir sagte, ich sollte mit den weißen Streifen auf dem I-95 spielen, dann bedeutete er Earle, mich reinzulassen. Earle machte auf und ging dann wieder nach hinten, um die Kühlbox aufzufüllen, was keine allzu schwere Aufgabe war, da die Bar keinerlei ausgefallene Biersorten auf Lager hatte. Im Sailmaker konnte man sich nach wie vor ein Miller High Life bestellen oder ein Pabst Blue Ribbon trinken, ohne sich dem Gespött der Leute auszusetzen.
Ich nahm an der Bar Platz, und Earle zog ab, um eine frische Kanne Kaffee für Jimmy zu holen. Wenn ich jeden Tag so viel Kaffee trinken würde wie Jimmy, könnte ich meinen Namen nicht schreiben, ohne zu zittern. Auf Jimmy hingegen schien er keinerlei Auswirkung zu haben. Vielleicht konnte ihn einfach nichts aus der Ruhe bringen.
»Weißt du, es kommt mir so vor, als ob du erst vor einem Moment hier warst«, sagte Jimmy. »Entweder vergeht die Zeit schneller, als sie sollte, oder du lässt mir einfach nicht genügend Zeit, um dich zu vermissen.«
»Tobias ist wieder unterwegs, wie es in dem Song heißt«, sagte ich.
Jimmy schaute weiter auf seine Papiere, addierte und machte sich am Rand Notizen. »Warum ist das mit dir immer so ein Gewese? Arbeitest du jetzt für die Regierung?«
»Nein, eine private Altersvorsorge ist mir lieber. Und was das Gewese angeht, ich habe seit letzter Nacht ein paar neue Freunde.«
»Wirklich? Darüber bist du bestimmt froh. Ich habe den Eindruck, dass du alle Freunde gebrauchen kannst, die du kriegst.«
»Die hier wollten mich ertränken, bis ich ihnen alles erzählt habe, was sie wissen wollten. Auf solche Freunde kann ich verzichten.«
Jimmys Stift bewegte sich nicht mehr.
»Und was wollten sie wissen?«
»Sie wollten rauskriegen, warum ich mich über Joel Tobias erkundige.«
»Und was hast du ihnen gesagt?«
»Die Wahrheit.«
»Hast du keine Lust gehabt zu lügen?«
»Ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht zu sterben, um mir irgendwas einfallen zu lassen.«
»Du bist also schon einmal gewarnt worden, und zwar nicht gerade behutsam, stellst aber weiter Fragen?«
»Genau darum geht’s ja. Sie waren nicht höflich.«
»Höflich. Was bist du denn, eine Herzogin?«
»Außerdem geht es auch um den Ort, an den sie mich gebracht haben, um ihre Fragen zu stellen.«
»Als da wäre?«
»Der Blue Moon beziehungsweise das, was davon übrig ist.«
Jimmy schob den Rechner weg. »Ich habe gewusst, dass du Unglück bringst. Ich habe es gewusst, als du zum ersten Mal reinmarschiert bist.«
»Ich glaube, du hast womöglich nachgeholfen, als du dich drüben im Dewey’s mit Joel Tobias angelegt hast. Aber ja, sie haben die Verbindung zwischen dir und mir hergestellt beziehungsweise umgekehrt. Dass sie mich zum Blue Moon gebracht
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