Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Schwanz und freute sich auf das Spiel.
»Nein«, sagte Damien. »Nein, zwing mich nicht dazu. Bitte nicht.«
Er legte den Finger um den Abzug. Sein Arm zitterte. Er bot seine ganze Willenskraft auf, ließ den Revolver sinken und schrie zum Meer hin, zum Himmel und in die untergehende Sonne. Er knirschte mit den Zähnen und nahm der Hündin die Leine ab.
»Lauf!«, rief er ihr zu. »Lauf heim! Sandy, geh heim!«
Die Hündin klemmte den Schwanz zwischen die Hinterbeine, wedelte aber immer noch leicht damit. Sie wollte nicht weggehen. Sie spürte, dass irgendetwas oberfaul war. Dann rannte Damien zu ihr hin, tat so, als wollte er sie treten, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Jetzt flüchtete die Hündin in Richtung Haus. Sie hielt inne, als Damien noch immer in Sicht war, aber er kam wieder auf sie zu, und diesmal lief sie weiter und blieb erst stehen, als sie den Schuss hörte.
Sie legte den Kopf schief und begann langsam zurückzulaufen, um festzustellen, was ihr Herrchen erlegt hatte.
ERSTER TEIL
Und ich kämpfte auf mich gestellt; es könnte mit ihnen
Keiner der sterblichen Erdenbewohner von heute sich messen.
H OMER , Ilias , Erster Gesang
1
Der Sommer war angebrochen, die Jahreszeit des Erwachens.
Dieser Staat, hoch im Norden gelegen, war nicht so wie seine südlichen Nachbarn. Hier war der Frühling eine Illusion, ein Versprechen, das nicht gehalten wurde, eine Vorspiegelung neuen Lebens inmitten von schwarz gewordenem Schnee und langsam schmelzendem Eis. An den Stränden und in den Sümpfen, in den großen Wäldern und den Salzmarschen hatte die Natur gelernt, dass sie sich gedulden musste. Im Februar und März herrschte der Winter noch mit aller Macht, bevor er sich langsam bis zum neunundvierzigsten Breitengrad zurückzog, ohne auch nur einen Zoll Boden kampflos preiszugeben. Wenn der April nahte, sprossen Weiden und Pappeln, Haselnuss und Ulme zum Gesang der Vögel. Seit dem Herbst hatten sie gewartet, die Blüten noch verhüllt, doch schon bereit, und bald breitete sich in den Mooren das Lilabraun der Erlen aus. Streifenhörnchen und Biber waren unterwegs. Am Himmel wimmelte es vor Waldschnepfen, Gänsen und Stärlingen, die umherstoben wie Samen auf einem blauen Feld.
Jetzt hatte der Mai endgültig den Sommer gebracht, und alles war erwacht.
Alles.
Sonnenschein fiel durchs Fenster und wärmte mir den Rücken, in meiner Tasse dampfte frischer Kaffee.
»Eine schlimme Sache«, sagte Kyle Quinn. Kyle, ein ordentlicher, gedrungener Mann in blütenweißer Kleidung, war Besitzer des Palace Diner in Biddeford. Er war auch der Koch, und zwar der reinlichste, den ich je gesehen hatte. Ich hatte schon in Diners gegessen, in denen ich beim Anblick des Kochs überlegt hatte, ob ich Antibiotika nehmen sollte, aber Kyle war so adrett gekleidet und seine Küche war so makellos, dass es Intensivstationen gab, in denen es um die Hygiene schlechter bestellt war als im Palace, und Chirurgen, die schmutzigere Hände hatten als Kyle.
Der Palace war der älteste Diner von Maine, ein von der Pollard Company in Lowell, Massachusetts, eigens zu diesem Zweck gebauter Speisewagen, dessen rot-weißer Anstrich noch immer schmuck und wie neu wirkte, und die goldenen Lettern am Fenster, die darauf hinwiesen, dass auch Damen willkommen waren, funkelten in der Morgensonne. Der Diner war 1927 eröffnet worden und hatte seither fünf Besitzer, deren letzter Kyle war. Dort gab es nur Frühstück, und er schloss noch vor Mittag und war einer der kleinen Schätze, die den Alltag ein bisschen erträglicher machten.
»Ja«, sagte ich. »Schlimmer als schlimm.«
Vor mir auf dem Tresen des Diners war der Portland Press-
Herald ausgebreitet. Die Überschrift auf der Frontseite unmittelbar unter dem Falz lautete:
KEINE SPUREN NACH MORD AN STAATSPOLIZIST
Der betreffende Staatspolizist, ein gewisser Foster Jandreau, war in seinem Pick-up hinter dem Blue Moon, einer ehemaligen Bar knapp innerhalb der Stadtgrenze von Saco, erschossen aufgefunden worden. Er war zur fraglichen Zeit nicht im Dienst gewesen und trug Zivil, als die Leiche entdeckt wurde. Was er beim Blue Moon gemacht hatte, wusste niemand, zumal bei der Autopsie festgestellt wurde, dass er irgendwann zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens umgebracht worden war, zu einer Zeit, in der niemand etwas bei der ausgebrannten Ruine einer unbeliebten Bar verloren hatte. Jandreaus sterbliche Überreste wurden von Straßenbauarbeitern gefunden, die auf dem Parkplatz des
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