Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
musste sie aufstehen und sich für die Arbeit anziehen. Sie hatte beschlossen, vorerst weiter bei Mr Patchett zu arbeiten, und das Joel auch mitgeteilt, als sie heimkam und feststellte, dass er von seiner Tour zurück war. Er hatte ein Pflaster im Gesicht, wollte ihr aber nicht erklären, weshalb. Er hatte nichts dagegen eingewandt, was sie überrascht hatte, aber vielleicht konnte er ihre Argumente nachvollziehen, jedenfalls hatte sie das zuerst gedacht: Dass man nur schwer an Arbeit kam, dass sie nicht einfach daheim herumsitzen könnte, sonst würde sie verrückt werden, und dass sie Mr Patchett keinerlei Anlass bieten würde, sich in ihre oder Joels Angelegenheit einzumischen.
Sie musste schlafen. Schon bald würden ihr nach dem stundenlangen Bedienen die Beine und die Füße schmerzen, aber andererseits schmerzten ihre Füße ständig. Selbst mit den besten Schuhen der Welt, die sie sich von ihrem Lohn sowieso nicht leisten konnte, würden ihr die Fersen und Ballen weh tun, wenn sie acht Stunden auf den Beinen war. Mr Patchett jedoch war ein besserer Boss als die meisten, besser sogar als irgendein Boss, den sie bislang hatte, was einer der Gründe war, weshalb sie im Downs Diner bleiben wollte. Sie hatte schon für so viele Widerlinge gearbeitet, dass sie einen guten Menschen erkannte, wenn sie ihm begegnete, und sie war dankbar für die Arbeitsstunden, die er ihr zuteilte. Der Diner käme mühelos mit einer Bedienung weniger aus, und als eine der jüngsten Angestellten wäre sie unter den ersten, die entlassen werden würden, aber er gab ihr regelmäßig Arbeit. Er kümmerte sich um sie, so wie er sich um alle Leute kümmerte, die für ihn arbeiteten, und in einer Zeit, in der überall Personal abgebaut wurde, besagte das etwas über einen Mann, der bereit war, ein bisschen weniger zu verdienen, damit seine Leute leben konnten.
Aber Mr Patchetts Sorge um sie war ein Problem, vor allem, seit der Privatdetektiv »rumschnüffelte«, wie Joel sich ausgedrückt hatte. Sie musste darauf achten, was sie zu Mr Patchett sagte, so wie sie auch versucht hatte, vorsichtig zu sein, als der Detektiv zum Haus kam. Trotzdem hatte sie letzten Endes mehr gesagt, als sie hätte sagen sollen.
Joel hatte den Detektiv zuerst entdeckt. Joel hatte eine Art sechsten Sinn für so etwas. Für einen Mann war er sehr aufmerksam. Er bemerkte es immer, wenn sie traurig war oder ihr irgendetwas zu schaffen machte. Er musste sie nur anschauen, und so einem Mann war sie noch nie begegnet. Vielleicht hatte sie einfach nur Pech gehabt, bis Joel des Wegs kam, und die meisten Männer stellten sich einfach auf die Frauen ein, mit denen sie zusammen waren, aber sie bezweifelte es. Joel war in dieser Hinsicht ungewöhnlich, und auch in manch anderer.
Und dennoch hatte Karen Joel nichts vom Besuch des Detektivs erzählen wollen. Sie konnte nicht genau sagen, weshalb, jedenfalls zunächst nicht, außer dass sie irgendwie das Gefühl hatte, dass Joel nicht ganz offen zu ihr war, was bestimmte Bereiche seines Lebens anging, und weil sie Angst um sein Wohlergehen hatte. Deswegen hatte sie einige Sachen ausgeplaudert, als der Detektiv vorbeigekommen war. Sie hatte gesehen, wie betroffen Joel über den Tod seiner Freunde war; er hatte Angst, auch wenn er es nicht zeigen wollte. Dann war er gestern mit dem Pflaster im Gesicht und den Wunden an den Händen heimgekommen, wollte aber nicht darüber reden, wie er sich verletzt hatte. Stattdessen hatte er sich in den Keller zurückgezogen, hatte Kartons aus dem Truck hinuntergeschleppt und war jedes Mal zusammengezuckt, wenn eine der Kisten seine Verletzungen berührt hatte.
Und als er schließlich ins Bett kam …
Tja, das war nicht so schön gewesen …
Sie seufzte und reckte sich. Zwei Minuten waren vergangen, seit sie zum letzten Mal auf die Uhr geschaut hatte. Noch immer hörte sie keinen Laut, weder die Toilettenspülung noch die Kühlschranktür. Sie fragte sich, was Joel machte, hatte aber Angst, ihn zu suchen. Nicht nach allem, was vorgefallen war. Karen fragte sich, ob er diese Seite von sich schon die ganze Zeit vor ihr verborgen hatte, ob sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Sie hatte sich täuschen lassen. Zum Narren halten. Hatte sich von einem Mann, den sie kaum kannte, beeinflussen und misshandeln lassen.
Sie hatte von Mr Patchetts Unterkünften wegkommen wollen. Ach, sie war dankbar für das Zimmer und die Gesellschaft der anderen Frauen gewesen, hatte
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