Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
belastet, dass sie sich nicht mehr erholen können, dann vernetzt sich das Hirn neu und verändert seine Arbeitsweise. Die Nervenzellenverbindungen zum Hippocampus, der für die Lernfähigkeit und das Langzeitgedächtnis zuständig ist, fangen an zu verrotten. Die Reaktionsfähigkeit des Mandelkerns, der Sozialverhalten und emotionale Bewertung von Situationen steuert, verändert sich. Desgleichen der präfrontale Cortex, der Teil der Großhirnrinde, der für Handlungsplanung und -initiierung, Furcht- und Reuegefühle sorgt und es uns ermöglicht zu erkennen, was real und was irreal ist. Ähnliche Schädigungen des neuronalen Netzes finden sich bei Schizophrenen, Soziopathen, Drogenabhängigen und Langzeithäftlingen. Du wirst genauso wie der Abschaum der Gesellschaft, ohne dass es deine Schuld ist, denn du hast nichts Unrechtes getan. Du bist lediglich deiner Pflicht nachgekommen.
Im Bürgerkrieg bezeichnete man es als »Soldatenherz«. Bei den Soldaten im Ersten Weltkrieg hieß es »Granatfieber«, und im Zweiten Weltkrieg war es »Kampfmüdigkeit« oder »Kriegsneurose«. Dann wurde es zum »Post-Vietnam-Syndrom«, und jetzt nannte man es PTBS . Er fragte sich manchmal, ob die alten Römer und Griechen eine Bezeichnung dafür hatten. Er hatte nach seiner Rückkehr die »Ilias« gelesen, als er versuchte, den Krieg mittels Literatur zu verstehen, und er glaubte es in der Trauer des Achilles um seinen Freund Patroklos und in der anschließenden Raserei zu erkennen, manchmal auch in seiner Trauer um die Freunde, die er verloren hatte. Allen voran Damien.
Sie überließen einen sich selber. Man hat seine Gefühle nicht mehr im Griff. Man hat sich selbst nicht mehr im Griff. Man wird depressiv, paranoid, distanziert sich von den Leuten, die sich etwas aus einem machen. Man glaubt, man wäre immer noch im Krieg. Man kämpft nachts mit dem Bettzeug. Man kommt mit seinen Liebsten nicht mehr zurecht, und sie verlassen einen.
Und vielleicht, aber nur vielleicht, glaubt man, dass man verfolgt wird, dass Dämonen aus Kästchen mit einem sprechen, und wenn man sie nicht zufriedenstellen kann, wenn man das, was sie von einem wollen, nicht tun kann, dann sorgen sie dafür, dass man sich gegen sich selbst wendet, und bestrafen einen für seine Versäumnisse.
Und vielleicht, aber nur vielleicht, empfindet man diesen Augenblick des Verlöschens als Erlösung.
18
Herod traf um 11:30 Uhr vormittags mit dem Zug in Portland ein. Er hatte nur eine schwarze Reisetasche dabei, deren Leder alt, aber unbeschädigt war, ein Beweis für seine Qualität. Er hatte nichts gegen das Fliegen und musste auch nur selten etwas mitnehmen, das ihm bei einer Gepäckkontrolle am Flughafen Unannehmlichkeiten bereiten könnte, doch wenn möglich reiste er lieber per Zug. Es erinnerte ihn an eine Zeit, als es noch kultivierter zuging, als das Leben langsamer verlief und die Menschen noch Zeit für kleine Aufmerksamkeiten hatten. Darüber hinaus war er in einem Zustand, in dem lange Autofahrten unbequem, lästig und möglicherweise sogar gefährlich waren, denn die Medikamente, mit denen er seine Schmerzen linderte, lösten häufig eine gewisse Benommenheit aus. Unglücklicherweise war das derzeit nicht der Fall – er hatte die Dosis reduziert, damit er einen klaren Kopf behielt, und infolgedessen litt er. Doch im Zug konnte er aufstehen und durch den Waggon laufen oder sich in den Speisewagen stellen und etwas trinken, einfach irgendetwas tun, das ihn von den Qualen ablenkte. Er hatte an der North Station einen Platz in einem ruhigen Wagen bekommen und zufrieden gelächelt, als der Zug aus der unterirdischen Trasse ins dunstige Sonnenlicht gefahren war. Die blaue OP -Maske verbarg seinen Mund und trug ihm nur ein, zwei kurze Blicke von Leuten ein, die an ihm vorbeigingen.
Er nahm die Anwesenheit des Käpt’ns wahr, als die Skyline von Boston am Horizont verschwand. Der Käpt’n saß auf der anderen Seite des Gangs, genau gegenüber von Herod. Er war nur in der Fensterscheibe zu sehen, und auch das nur teilweise: wie ein verwischter Fleck, eine sich bewegende Gestalt, die vom Objektiv einer Kamera erfasst wurde, wenn ringsum alles reglos war. Herod stellte fest, dass er ihn leichter sehen konnte, wenn er nicht direkt zu ihm hinblickte.
Der Käpt’n war wie ein Clown gekleidet. Du kannst über den Käpt’n sagen, was du willst, dachte Herod, aber er hat eine Vorliebe fürs Altbewährte. Der Käpt’n trug ein rot-weiß gestreiftes Sakko und
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