Die Bruderschaft der Runen
werten Vorgänger und Stiefvater. Sein leiblicher Sohn kam bei einem mysteriösen Jagdunfall ums Leben. Eine verirrte Kugel traf ihn und brachte ihn zu Tode. So wurde ich Laird, als mein Stiefvater starb. Solange meine Mutter jedoch am Leben ist, darf ich all das hier nur verwalten. Sie ist die wahre Besitzerin und Herrin von Ruthven.«
»Das … das wusste ich nicht«, sagte Mary leise, während ihr schlagartig klar wurde, wieso Eleonore of Ruthven so selbstsicher und herrisch auftreten konnte.
»Jetzt wissen Sie es. Und wenn Sie nun noch weniger geneigt sind, mich zu heiraten, so kann ich Ihnen das nicht verdenken. Ginge es nach mir, so würde ich Sie in die nächste Kutsche setzen und Sie lieber heute als morgen loswerden. Aber ich habe keine Wahl, werte Mary. Meine Mutter hat sich in den Kopf gesetzt, eine Frau für mich auszusuchen, und aus irgendeinem Grund glaubt sie, in Ihnen die richtige gefunden zu haben. Ich habe mich zu fügen, wenn ich auch weiterhin der Laird of Ruthven und Herr dieser Ländereien bleiben will. Und Sie, Mary, werden ebenfalls nach ihren Wünschen verfahren, denn ich werde mir weder von Ihnen noch von irgendjemandem sonst nehmen lassen, was mir von Rechts wegen zusteht.«
Der Wald ringsum schluckte den Klang seiner Worte und sorgte dafür, dass sie sich seltsam dumpf anhörten. Unbewegt stand Mary ihrem Bräutigam gegenüber; sie konnte kaum glauben, dass er all das wirklich gesagt hatte. Langsam, ganz langsam sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass sie tatsächlich nichts weiter war als eine Ware, die auf dem Markt verschachert worden war.
Ihre Eltern hatten die aufsässige Tochter weggeschickt, damit sie in Egton nicht länger für Ärger sorgte; Eleonore hatte sie gekauft, damit ihr Sohn eine Frau hatte und Ruthven einen Erben schenken konnte; und Malcolm schließlich nahm sie als notwendiges Übel hin, um seinen Stand und seinen Besitz zu erhalten.
Mary kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung an, die aus ihrem Innersten emporstiegen, aber sie konnte sie nicht länger zurückhalten.
»Ersparen Sie mir Ihre Tränen«, sagte Malcolm hart. »Es ist ein Handel zu beiderseitigem Vorteil. Sie schneiden bestens dabei ab, werte Mary. Sie bekommen einen guten Namen und einen stolzen Besitz. Aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich Sie liebe und achte, auch wenn man mir dieses Versprechen abringen wird.«
Damit wandte er sich ab und ging den Pfad zur Kutsche zurück. Mary blieb allein mit ihren Tränen. Sie schalt sich eine Närrin dafür, dass sie sich selbst etwas vorgemacht hatte.
Die Tage auf Abbotsford und ihre Begegnung mit Sir Walter Scott hatten ihr die Freude am Leben zurückgebracht, hatten sie hoffen lassen, dass das Schicksal für sie noch mehr bereithalten könnte als ein Leben in Pflichterfüllung und Unterordnung. Aber jetzt wurde ihr klar, wie töricht und vergeblich diese Hoffnung gewesen war. Burg Ruthven würde niemals ihre Heimat werden, und ihr zukünftiger Ehemann machte kein Hehl daraus, dass er sie weder schätzte noch Zuneigung für sie empfand.
Ein Leben in Einsamkeit lag vor ihr.
Unwillkürlich musste sie an die Menschen denken, die sie in Cruchie gesehen hatte, an den Ausdruck im Gesicht der jungen Mutter. Angst war darin zu lesen gewesen, und genau das war es, was auch sie in diesem Moment empfand.
Nackte Angst …
Als Mary auf Burg Ruthven zurückkehrte, war Kitty nicht da. Man hatte sie zur Schneiderin nach Inverurie geschickt, um einen Termin für Mary zu vereinbaren.
Dass ihre Zofe, die für sie mehr eine Freundin denn eine Dienerin war, nicht anwesend war, um sie mit ihrer heiteren und unbeschwerten Art zu trösten, machte Mary noch schwermütiger.
Müde ließ sie sich auf das Bett fallen, das an der Stirnseite der Kammer stand, und ohne dass sie es verhindern konnte, barsten Trauer, Schmerz und Enttäuschung aus ihrem Innersten und brachen sich Bahn in bitteren Tränen, die ihr über die Wangen liefen und das Laken benetzten.
Wie lange sie so gelegen hatte, wusste Mary nicht zu sagen. Irgendwann versiegte der Strom ihrer Tränen, aber die Verzweiflung blieb. Obgleich Malcolm seinen Standpunkt mehr als deutlich gemacht hatte, lehnte sich ein Teil von ihr noch immer verzweifelt dagegen auf, dass dies alles gewesen sein sollte, was das Leben ihr zu bieten hatte. Sie war jung, schön und intelligent, interessierte sich für die Welt in ihrer ganzen reichen Vielfalt – und es sollte ihr Schicksal sein, als ungeliebte Frau eines
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