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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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eitrigen Furunkel entdeckt. »Eine nutzlose Anhäufung von Stein.«
    »Können wir dorthin fahren?«, bat Mary.
    »Weshalb? Da gibt es nichts zu sehen.«
    »Ich bitte Sie. Ich würde gern sehen, wie die Menschen hier leben.«
    »Nun gut.« Der Laird war offensichtlich wenig von der Vorstellung begeistert. »Wenn Sie darauf bestehen, sollen Sie Ihren Wunsch erfüllt bekommen, liebe Mary.«
    Mit dem silbernen Knauf seines Stocks, den er als Zeichen seiner Adelswürde bei sich trug, schlug er zwei Mal gegen die Stirnwand der Kutsche, um dem Fahrer zu bedeuten, dass er an der nächsten Kreuzung abbiegen solle.
    Zäh schleppte sich das Gefährt die sanft ansteigende Straße hinauf. Je näher die Kutsche dem Dorf kam, desto deutlicher konnte man Einzelheiten durch den Regenschleier erkennen.
    Es waren einfache, aus Naturstein errichtete Häuser, wie Mary sie aus den Dörfern kannte, die sie bei ihrer Anreise durchfahren hatte. Die Hausdächer waren jedoch nicht mit Ziegeln, sondern mit Stroh gedeckt, und es gab kein Glas in den Fenstern; Lumpen aus Leder und Wolle hingen davor, und der Unrat, der auf der Straße verstreut lag, zeigte, dass die Einwohner alles andere als im Wohlstand lebten.
    »Ich hätte Ihnen diesen Anblick gern erspart«, sagte Malcolm geringschätzig. »Diese Leute leben wie Ratten in ihrem eigenen Dreck, und ihre Behausungen sind wenig mehr als schäbige Löcher. Aber ich werde diesen Missstand bald beenden.«
    »Was haben Sie vor?«, erkundigte sich Mary.
    »Ich werde dafür sorgen, dass dieses verdammte Kaff von der Landkarte verschwindet. Schon in ein paar Jahren wird niemand mehr wissen, wo es sich befunden hat. Kein Stein wird hier auf dem anderen bleiben, und die Schafe werden weiden, wo diese Tagelöhner jetzt noch meinen Grund und Boden besetzen.«
    »Sie wollen das Dorf also ebenfalls räumen lassen?«
    »So ist es, meine Liebe. Und wenn Sie erst die abgerissenen Kreaturen gesehen haben, die in diesen Hütten wohnen, so werden Sie mir zustimmen, dass dies das Beste sein wird, das ihnen widerfahren kann.«
    Die Kutsche näherte sich den Häusern, und jetzt sah Mary auch die Gestalten, die in den Eingängen der Hütten kauerten. ›Abgerissen‹ war gar kein Ausdruck. Die Bewohner von Cruchie trugen wenig mehr als Lumpen am Leib, Fetzen aus Leinen und Wolle, die ausgeblichen waren und vor Schmutz starrten. Ihre Gesichter waren ausgezehrt und die Haut blass und fleckig vom Mangel, den sie litten. Ihre Augen konnte Mary nicht sehen, denn sobald sich die Kutsche näherte, senkten die Menschen den Blick, egal, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelte.
    »Diese Menschen hungern«, stellte Mary fest, als sie an ihnen vorbeifuhren. Das Elend dieser Leute jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
    »Das tun sie«, stimmte Malcolm ohne Zögern zu, »und es ist ihre eigene Dummheit und Unvernunft, die sie hungern lässt. Schon mehrmals habe ich ihnen angeboten, sie an die Küste umzusiedeln, aber sie wollen einfach nicht von hier weggehen. Dabei reicht das, was diese Faulpelze dem Boden abringen, weder aus, um ihre Bäuche zu füllen, noch um die Pacht an mich zu bezahlen. Verstehen Sie jetzt, was ich Ihnen die ganze Zeit zu sagen versuche? Diesen Leuten kann nichts Besseres widerfahren, als dass sie eine neue Heimat und eine Arbeit bekommen. Leider wollen sie das nicht einsehen.«
    Mary erwiderte nichts darauf. Die Kutsche passierte eine Hütte, deren Dach halb eingefallen war. Im Eingang standen zwei Kinder, ein Junge und ein kleines Mädchen, deren Haare wirr und verdreckt waren und die schmutzige, löchrige Fetzen trugen.
    Gerade als die Kutsche an ihnen vorbeirollte, blickte der Junge auf, und obwohl das Mädchen ihn heftig am Ärmel zog und ihm bedeutete, den Blick wieder zu senken, tat er es nicht. Stattdessen erschien ein zaghaftes Lächeln auf seinen blassen Zügen, als er Mary erblickte, und er streckte seine kleine Hand hoch und winkte.
    Das Mädchen erschrak darüber sehr und lief ins Haus. Mary jedoch, die den Jungen ganz reizend fand, erwiderte sein Lächeln und winkte zurück. Das Mädchen kam zurück und mit ihm seine Mutter, und Mary konnte das Entsetzen in den Zügen der Frau sehen. Sie schrie den Jungen an und packte ihn, wollte ihn von der Straße zerren – als sie die Dame in der Kutsche sah, die freundlich lächelte und winkte. Verblüfft ließ sie ihr Kind los, und nach einem Augenblick des Zögerns huschte auch über ihre ausgemergelten Züge der Hauch eines

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