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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sie als veraltet und ungerecht empfand, oder dass sie sich einmal mehr nicht hatte beherrschen können und ihr Temperament mit ihr durchgegangen war.
    Sie ließen die Anhöhe von Cruchie hinter sich, und der Baumbewuchs längs der Straße wurde dichter. Noch weniger Licht als zuvor fiel in die Kutsche, und Mary hatte das Gefühl, dass sich die dunklen Schatten geradewegs auf ihr Herz senkten. Keine Wärme ging von diesem Land aus und noch weniger von den Menschen, denen es gehörte. Malcolm saß unbewegt neben ihr, das blasse Gesicht eine steinerne Maske. Widerwillig überlegte Mary, ob sie sich bei ihm entschuldigen sollte, als der Laird den Kutscher plötzlich anwies, das Fahrzeug anzuhalten.
    Inmitten des Waldes, der die Straße zu beiden Seiten begrenzte, kam die Kutsche zum Stehen.
    »Wie steht es, meine Liebe?«, fragte Malcolm, jetzt wieder so beherrscht und unnahbar wie gewohnt. »Wollen wir ein Stück spazieren gehen?«
    »Gern.« Mary lächelte zaghaft, um zu sehen, ob er ihr noch immer böse war. Er erwiderte ihr Lächeln nicht.
    Sie warteten, bis der Kutscher abgestiegen war, die Tür geöffnet und die Stufen ausgeklappt hatte. Dann stiegen sie aus. Mary merkte, wie ihre Füße im weichen Boden halb versanken. Der zugleich würzige und modrige Duft des Waldes stieg ihr in die Nase.
    »Wir werden ein Stück spazieren gehen. Warte hier auf uns«, wies Malcolm den Kutscher an. Dann ging er mit Mary auf einem schmalen Pfad, der sich zwischen hohen Tannen und Eichen schlängelte, tiefer in das düstergrüne Dickicht.
    »Das alles gehört mir«, sagte er dabei. »Der Forst von Ruthven erstreckt sich von hier bis zum Fluss. Kein anderer Laird des Nordens nennt ein so großes Waldgebiet sein Eigen.«
    Mary antwortete nichts, und eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
    »Warum sagen Sie mir das, Malcolm?«, fragte Mary schließlich. »Haben Sie Angst, ich würde Sie nicht schätzen, wenn Sie weniger mächtig und wohlhabend wären?«
    »Nein.« Er blieb stehen und schaute sie durchdringend an. »Ich sage Ihnen das, damit Sie zu würdigen wissen, welche Privilegien und welche Macht Sie ohne Zutun erlangen.«
    »Ohne Zutun? Aber ich …«
    »Ich bin nicht dumm, Mary. Ich kann sehen, dass Sie mit dieser Absprache nicht einverstanden sind. Dass Sie lieber in England geblieben wären, anstatt hierher in den Norden zu kommen und einen Mann zu heiraten, den Sie nicht einmal kennen.«
    Mary antwortete nicht. Was hätte sie erwidern sollen? Jeder Widerspruch wäre blanke Heuchelei gewesen.
    »Ich kann Sie gut verstehen«, versicherte Malcolm, »denn mir geht es ebenso wie Ihnen. Denken Sie denn, mir behagt es, mit einer Frau verheiratet zu werden, die ich weder kenne noch liebe? Die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe und die meine Mutter für mich ausgesucht hat, als wäre sie eine Ware auf dem Markt?«
    Mary senkte den Blick zu Boden. Malcolm musste klar sein, dass er sie verletzt hatte, aber er scherte sich nicht darum. »Nein, Mary«, fuhr er mit schneidender Stimme fort. »Ich bin von dieser Absprache ebenso wenig begeistert wie Sie. Sie legt mir Fesseln an, die mich einengen, und sie bürdet mir Verpflichtungen auf, deren ich nicht bedarf. Bevor Sie sich also selbst bemitleiden, denken Sie daran, dass Sie nicht die Einzige sind, die unter dieser Absprache zu leiden hat.«
    »Ich verstehe«, sagte Mary zögernd. »Aber verraten Sie mir eines, Malcolm. Wenn Sie so sehr gegen die Absprache und unsere Heirat sind, wenn sie Ihnen im Innersten verhasst ist und Sie sich nicht vorstellen können, jemals in Ihrem Leben etwas anderes in mir zu sehen als eine Ware, die man für Sie ausgesucht hat – wieso verschließen Sie sich dann nicht dem Plan Ihrer Mutter?«
    »Das könnte Ihnen so passen, nicht wahr?« Sein Grinsen war zynisch und böse. »Dann wären Sie frei und könnten zurückgehen nach England, ohne Ihr Gesicht verloren zu haben. Denn der einzig Schuldige wäre dann ich, richtig?«
    »Aber nein«, versicherte Mary, »Sie missverstehen mich. Alles, was ich damit sagen will, ist …«
    »Denken Sie denn, Sie sind die einzige Gefangene auf Burg Ruthven? Denken Sie wirklich, ich wäre frei?«
    »Nun – Sie sind der Laird, oder nicht?«
    »Von meiner Mutter Gnaden«, sagte Malcolm mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Sie sollten wissen, Mary, dass ich kein legitimer Spross des Hauses Ruthven bin. Meine Mutter brachte mich mit in die Ehe, die sie mit dem Laird of Ruthven einging, meinem

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