Die Bruderschaft der Runen
nicht …«
»Aber ihr habt mich nicht gestört«, unterbrach ihn Mary und lächelte. »Ich bin lediglich gekommen, um dem Brautpaar meine Aufwartung zu machen.«
Und noch ehe einer der Anwesenden recht verstand, was hier geschah, hatte sie auch schon die Hand des Bräutigams ergriffen, drückte sie und wünschte ihm und seiner Familie alles erdenklich Gute. Danach ging sie zu der nicht weniger verblüfften Braut, umarmte sie und sprach auch ihr die herzlichsten Glückwünsche aus.
»Danke, Mylady«, sagte die junge Frau errötend und machte einen etwas unbeholfenen Knicks. Ihre Züge waren blass und von Sommersprossen übersät, das Haar feuerrot. Trotz des schäbigen Kleides, das sie trug, wirkte sie auf eine natürliche, unverdorbene Weise hübsch. Mary war sicher, dass sie alle Damen auf dem Ball mühelos ausgestochen hätte, hätte man sie in ein teures Kleid gesteckt und sie entsprechend frisiert.
»Wie heißt du?«, wollte sie wissen.
»Moira, meine Dame«, lautete die zaghafte Antwort.
»Und du?«, fragte sie den Bräutigam.
»Mein Name ist Sean, Mylady. Sean Fergusson, der Schmiedegeselle.«
»Wie schön.« Mary lächelte und blickte sich um. »Gibt es hier einen Tropfen zu trinken, damit ich einen Spruch auf das Wohl des Brautpaars ausbringen kann?«
»Sie … Sie wollen mit uns trinken, Mylady?«, erkundigte sich einer der Älteren, die am Tisch saßen.
»Warum denn nicht?«, fragte Mary zurück. »Traut ihr es einer vornehmen Dame nicht zu, dass sie einen Bierkrug leert?«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten – man brachte Mary einen der derben Krüge, die bis zum Rand mit schaumigem Gerstensaft gefüllt waren.
»Auf Sean und Moira!«, sagte Mary und hob ihren Krug. »Möge ihnen ein langes Leben in Gesundheit beschieden und mögen sie einander immer in Liebe zugetan sein.«
»Auf Sean und Moira«, echote es reihum, dann wurden die Krüge angesetzt und nach altem Brauch bis auf den Grund geleert – wobei Mary die Einzige war, die ihren Krug tatsächlich leerte, denn die übrigen Anwesenden waren damit beschäftigt, ihr staunend zuzusehen. Einer Adeligen, die in einem Zug einen Bierkrug leerte, waren sie noch nie begegnet.
»So«, sagte Mary, setzte den Bierkrug ab und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von den Lippen. »Und nun wünsche ich euch allen noch eine schöne Hochzeitsfeier. Möge sie heiterer und fröhlicher sein als die traurige Festivität, die dort drüben abgehalten wird.«
Sie nickte den Anwesenden zum Abschied zu und wandte sich zum Gehen, als Moira plötzlich vortrat.
»Mylady!«
»Ja, mein Kind?«
»Sie … Sie müssen nicht gehen, wenn Sie nicht wollen. Sean und ich würden uns freuen, wenn Sie bleiben könnten. Natürlich nur, wenn Sie es wünschen …«
»Nein«, sagte Mary. »Es wäre nicht gut. Ihr wollt sicher unter euch sein. Ich würde eure Feier nur stören.«
»Mich würde es nicht stören«, sagte Moira keck, »und Sean sicher auch nicht. Es sei denn, Sie möchten lieber gehen.«
Mary, die auf der Schwelle stehen geblieben war, wandte sich um. Eine seltsame Melancholie befiel sie plötzlich, und sie musste mit Tränen der Rührung kämpfen. »Ihr wollt mich dabeihaben?«, fragte sie. »Auf eurer Hochzeitsfeier?«
»Wenn es Ihnen gefällt, Mylady.«
Mary musste lächeln, und eine Träne rann über ihre Wange. »Natürlich gefällt es mir«, versicherte sie. »Ich bleibe gern, wenn ich darf.«
»Werden Mylady es mir in diesem Fall gestatten, Sie zu einem Tanz aufzufordern?«, fragte Sean, und schlagartig war es totenstill im Raum. Dass eine Dame einen Bierkrug leerte und man sie einlud, einer Hochzeitsfeier im Gesindehaus beizuwohnen, war an sich schon ungewöhnlich genug. Dass sich nun aber ein Schmiedegeselle erdreistete, sie zum Tanz aufzufordern, war wohl zu viel des Guten.
Den anwesenden Gästen schien das nur allzu bewusst zu sein. Gespannt, fast ängstlich blickten sie Mary an, der einmal mehr klar wurde, dass diese Leute unter der Herrschaft der Ruthvens nicht viel zu lachen hatten. Auch Sean schien zu dämmern, dass er den Bogen überspannt hatte, und er senkte betreten den Blick.
»Aber natürlich werde ich mit dir tanzen«, sagte Mary in die Stille hinein. »Vorausgesetzt natürlich, deine Braut hat nichts dagegen.«
»W-wirklich?«, fragte Sean verdutzt.
»Natürlich nicht, Mylady«, sagte Moira schnell. »Was sollte ich denn dagegen haben?«
»Dann lasst die Musikanten etwas spielen«, verlangte Mary lachend.
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