Die Bruderschaft der Runen
entdecken, die in ihm steckten. Wenn er jetzt so unvermittelt nach Hause zurückkehrte, würde er bald wieder der sein, als der er gegangen war: ein Niemand, der in den Augen seiner Familie zu nichts wirklich taugte.
Aufgrund des Wetters gestaltete sich die Fahrt beschwerlich und dauerte länger als vorgesehen. Erst am Sonntag trafen Sir Walter und die seinen in Edinburgh ein. Das Haus, das die Familie Scott erworben hatte, lag in der Castle Street im Herzen der Altstadt, am Fuß des Berges, auf dem groß und majestätisch die Königsburg thronte.
Quentin war es schwer ums Herz, als die Kutsche vor dem Stadthaus der Scotts zum Stehen kam. Die Reise war nun unleugbar zu Ende und damit auch das Abenteuer, das er an der Seite von Sir Walter bestanden hatte. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle, als der Kutscher die Tür öffnete und die Stiegen ausklappte.
»Was ist mit dir, mein lieber Junge?«, fragte Lady Charlotte in ihrer milden, mitfühlenden Art. »Ist dir die Fahrt nicht bekommen?«
»Nein, Tante, das ist es nicht.«
»Dein Gesicht ist ganz blass, und du hast Schweiß auf der Stirn.«
»Es geht mir gut«, versicherte Quentin. »Bitte mach dir keine Sorgen. Es ist nur …«
»Ich glaube, ich weiß, was unserem jungen Schützling fehlt, meine Liebe«, sagte Sir Walter und machte seinem Ruf, ein guter Menschenkenner zu sein, einmal mehr alle Ehre. »Ich denke, er will nicht nach Hause zurück, weil er noch nicht gefunden hat, wonach er sucht. Richtig?«
Quentin erwiderte nichts, sondern senkte nur betreten den Blick und nickte.
»Nun, mein Junge, ich denke, ich kann dir helfen. Da ich meine Studenten entlassen musste, jedoch vorhabe, meine Arbeit hier in Edinburgh fortzusetzen, habe ich durchaus Bedarf an einem fleißigen Helfer.«
»Du … du meinst, ich kann bleiben?«
»Ich habe nie gesagt, dass du gehen musst, mein Junge«, erwiderte Sir Walter lächelnd. »Wir werden deiner Familie einen Brief schreiben, dass du wieder in der Stadt bist. Außerdem werde ich sie darüber in Kenntnis setzen, dass ich mit deinen Diensten sehr zufrieden bin und dich noch weiter zu meiner Unterstützung benötige.«
»Das würdest du für mich tun?«
»Natürlich, mein Junge. Und es ist noch nicht einmal gelogen. Denn es gibt tatsächlich einige Dinge, die ich von hier aus zu erledigen gedenke und bei denen ich etwas Hilfe gut gebrauchen kann.« Sir Walter hatte seine Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern gesenkt, das seine Gattin besorgt die Stirn runzeln ließ.
»Sorge dich nicht, meine Liebe«, fügte er deshalb laut hinzu. »Hier in Edinburgh sind wir sicher. Hier kann uns nichts geschehen.«
»Das hoffe ich sehr, mein Liebster. Das hoffe ich wirklich sehr.«
Sie verließen die Kutsche und betraten das Haus, das von den Dienern, die vorausgeschickt worden waren, bereits auf Vordermann gebracht worden war. In den Kaminen der Wohnräume flackerten wärmende Feuer, und der Duft von Tee und frischem Gebäck strömte durch das Haus.
Lady Charlotte, die müde und erschöpft war von der beschwerlichen Reise, zog sich schon bald in die Schlafräume zurück, während Sir Walter das Arbeitszimmer aufsuchte, das er auch hier unterhielt. Im Vergleich zum großen Studierzimmer in Abbotsford war es jedoch geradezu spartanisch; ein Sekretär und ein gläserner Schrank bildeten die einzige Einrichtung, und es gab auch keine umfassende Handbibliothek wie in Abbotsford.
Entsprechend hatte Sir Walter einige seiner Bücher einpacken und schon vor Tagen nach Edinburgh bringen lassen; Quentin oblag es jetzt, sie nach Themengebieten zu sortieren und in den Glasschrank zu räumen, während Sir Walter sich ein Glas von dem alten Scotch genehmigte, den er im Keller des Hauses lagerte.
»Da sind wir also«, sagte er mit leiser, fast resignierender Stimme. »Ich hätte nicht gedacht, dass es dazu kommen würde. Wir sind feige geflohen und haben den Gesetzlosen das Feld überlassen.«
»Es war die richtige Entscheidung«, meinte Quentin.
Sir Walter nickte. »Auch du wirst noch die Erfahrung machen, dass man die richtige Entscheidung treffen und sich dabei trotzdem als Verlierer fühlen kann, mein Junge.«
»Aber du bist kein Verlierer, Onkel. Du bist Oberster Richter und eine bekannte Persönlichkeit, und als solche hast du Verantwortung zu tragen. Es war richtig, Abbotsford zu verlassen. Inspector Dellard wird es dir jederzeit bestätigen.«
»Dellard.« Sir Walter lachte freudlos. »Glaubst du denn, er hat uns die
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