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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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konnte die Heuchelei nicht ertragen und wandte sich ab. Vergeblich suchte sie in dem Durcheinander aus Perücken, Röcken und mit Federputz versehenen Kleidern nach einem menschlichen Gesicht. Ringsum sah sie nichts als gepuderte Blässe, die wohl – so kam es Mary vor – den Umstand verbergen sollte, dass die wenigsten dieser Leute noch am Leben waren.
    »Ah, werte Mary! Da sind Sie ja!«
    Ohne es zu wollen, war Mary in die Nähe des Kreises geraten, wo sich Malcolm mit anderen jungen Lairds und Landlords unterhielt. Die begehrlichen Blicke, mit denen einige von ihnen Mary bedachten, zeigten deutlich, dass die jungen Männer nicht halb so zivilisiert und vornehm waren, wie sie sich nach außen hin gaben.
    »Gerade reden wir über eines Ihrer Lieblingsthemen«, sagte Malcolm grinsend, der seit ihrer Ausfahrt in den Wald kaum mit ihr gesprochen hatte.
    »Was könnte das wohl sein?«, fragte Mary und lächelte unsicher. Sie musste den Schein wahren, irgendwie, um diesen Abend zu überleben, dachte sie im Stillen.
    »Ist es wahr, dass Sie gegen die Highland Clearances sind, Mylady?«, fragte ein junger Bursche, der kaum zwanzig Jahre alt war und über dessen Stirn ein rotblonder Haarschopf quoll. Seine stämmige Erscheinung hatte etwas Bäuerliches – wären seine Vorfahren nicht vor einigen Jahrhunderten zu Reichtum und Ansehen gelangt, hätte er vermutlich in irgendeinem Stall oder auf dem freien Feld seine Arbeit verrichtet.
    Mary überlegte sich ihre Antwort nicht lange. Sie hatte an diesem Abend so viele Heucheleien gehört und sich auch selbst daran beteiligt, dass ihr beinahe übel geworden war. Sie konnte sich nicht noch länger verstellen. Nicht, wenn es um ihre Überzeugungen ging.
    »Ja«, sagte sie deshalb rundheraus. »Wie würde es Ihnen gefallen, von Ihrem Land vertrieben zu werden und das Dach über dem Haus angezündet zu bekommen, mein lieber …«
    »McDuff«, stellte der Rotschopf sich vor. »Henry McDuff. Ich bin der zweite Laird von Deveron.«
    »Wie schön für Sie«, versetzte Mary lächelnd. »Sicher haben Sie in vielen Kriegen mutig gekämpft und zahlreiche Orden errungen, um in den Besitz Ihrer Privilegien zu gelangen.«
    »Natürlich nicht«, verbesserte McDuff, der nicht merkte, dass Mary sich über ihn lustig machte. »Mein Urgroßvater hat das getan. Er hat auf dem Schlachtfeld von Culloden auf der richtigen Seite gestanden und unserer Familie damit auf alle Zeit Macht und Besitz gesichert.«
    »Ich verstehe. Und Sie, werter McDuff, eifern Ihrem Ahnen nun darin nach, gegen Ihre eigenen Landsleute zu kämpfen. Leider sind Sie nicht ganz so tapfer wie er. Denn damals waren es Clansherren und Soldaten, heute hingegen nur wehrlose Bauern.«
    »Das lässt sich nicht vergleichen«, schnaubte der Gescholtene. »Diese Bauern besetzten unser Land. Sie hindern es daran, guten Gewinn abzuwerfen.«
    »Mein lieber McDuff«, sagte Mary mit zuckersüßer Stimme, »zuallererst einmal leben diese Menschen auf Ihrem Land und besetzen es nicht. Und sie tun es auch nicht umsonst, sondern zahlen Ihnen Pacht dafür.«
    »Pacht!« Der Laird schnappte nach Luft, und seine Wangen färbten sich rot. »Wenn ich das schon höre! Als ob man die paar Pence, die diese Tagelöhner uns bezahlen, als Pacht bezeichnen könnte.«
    Einige der jungen Männer, die dabeistanden, lachten höhnisch, andere drückten lautstark ihre Zustimmung aus. Malcolm of Ruthven war das wachsende Unbehagen anzusehen.
    »Natürlich«, konterte Mary schlagfertig, »Sie haben Recht, mein lieber McDuff. Ich weiß ja, dass Sie und Ihresgleichen seit Jahren darben, weil Ihre Pachteinnahmen sich ständig verringern.« Dabei deutete sie unmissverständlich auf die nicht eben kleine Rundung, die sich über dem Hosenbund des jungen Lairds wölbte.
    Diesmal war es Mary, die die Lacher auf ihrer Seite hatte, und McDuff zog ein beleidigtes Gesicht. Malcolm, dem die Angelegenheit sichtlich peinlich war, sagte: »Da siehst du es, lieber Henry. Das ist der Fortschritt, von dem wir so gern sprechen, die modernen Zeiten. Dazu gehört es eben auch, dass Frauen frei ihre Meinung äußern.«
    »Das war nicht zu überhören«, erwiderte McDuff säuerlich.
    »Verzeihen Sie, wenn ich Sie verletzt habe, werter Laird«, fügte Mary bissig hinzu. »Sicher wollen Sie nur das Beste für die Menschen, die auf Ihrem Land leben. Es würde Ihnen nicht im Traum einfallen, sich an ihnen zu bereichern, nicht wahr?« Sie sah noch, wie Malcolm schmerzvoll zusammenzuckte

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