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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Süden erzählte, konnte Mary nicht das Geringste entdecken.
    Das Land, das vor ihr lag, war nicht karg und rau, sondern fruchtbar und reich an Vegetation. Es gab Wälder und grüne Wiesen, hier und dort letzte Flecken von Ackerland. Mary hatte erwartet, dass der Ausblick von Carter Bay sie erschrecken werde, doch davon konnte keine Rede sein. Im Gegenteil. Der Anblick dieses lieblichen Landes mit seinen sanften Hügeln und Tälern verschaffte ihr etwas Trost, und für einen kurzen, unscheinbaren Augenblick hatte sie das Gefühl, nach langer Abwesenheit nach Hause zurückzukehren.
    Das Gefühl verflog jedoch sogleich wieder, und jäh wurde Mary klar, dass sie im Begriff stand, alles hinter sich zu lassen, was ihr je vertraut gewesen war. Vor ihr lagen Ungewissheit und Fremde. Ein Leben mit einem Mann, den sie nicht liebte, in einem Land, das sie nicht kannte. Die alte Schwermut überkam sie wieder und senkte sich düster und drückend auf ihr Herz.
    Mary wandte sich um und kehrte bedrückt zur Kutsche zurück. Ihre Zofe Kitty hatte es vorgezogen, in der Kutsche zu warten. Im Gegensatz zu Mary hätte es ihr durchaus genügt, mit einem wohlhabenden schottischen Laird verheiratet zu werden und zu wissen, dass sie den Rest ihres Lebens auf einem Schloss verbringen würde, umgeben von Reichtum im Überfluss. Mary hingegen war der Gedanke so unerträglich, dass ihr beinahe übel wurde. Was bedeutete all dieser Reichtum, dachte sie traurig bei sich, wenn dabei keine wahren Gefühle im Spiel waren?
    Winston half ihr beim Einsteigen in die Kutsche und wartete geduldig, bis sie Platz genommen hatte. Erst dann erklomm er den Kutschbock, löste die Bremse und lenkte den Zweispänner die schmale Straße hinab, die sich in engen Serpentinen zum Tal hin wand.
    Noch eine Weile quälte sich Mary damit, durch das kleine Fenster zu starren und die Landschaft zu betrachten. Sie sah grüne Wiesen und Schafherden, die darauf weideten – ein Bild des Friedens, das ihr jedoch keinen Trost mehr schenkte. Das Gefühl von Vertrautheit, das sie oben auf dem Pass verspürt hatte, war verflogen und kehrte nicht zurück, und Mary blieb nichts, als das zu tun, was sie auch zu Hause in Egton stets getan hatte, wenn sie das Gefühl gehabt hatte, an den Beschränkungen ihres Standes zu ersticken.
    Sie griff zu einem Buch.
    »Ein neues Buch, Mylady?«, fragte Kitty mit amüsiertem Augenaufschlag, als sie Mary nach dem ledergebundenen Bändchen greifen sah. Als eine der wenigen wusste die Zofe um die geheime Leidenschaft ihrer Herrin.
    Mary nickte. »Es heißt Ivanhoe. Ein Schotte namens Walter Scott hat es geschrieben.«
    »Ein Schotte und schreiben, Mylady?« Kitty kicherte, um dann plötzlich zu erröten. »Mylady, bitte verzeihen Sie meine unbedachten Worte«, murmelte sie verlegen. »Ich vergaß, dass Ihr zukünftiger Ehemann, der Laird of Ruthven, ebenfalls ein schottischer Landsmann ist.«
    »Schon gut.« Mary brachte ein Lächeln zu Stande. Immerhin verstand es Kitty, sie ein wenig aufzuheitern.
    »Worum geht es in dem Buch, Mylady?«, erkundigte sich die Zofe, um rasch das Thema zu wechseln.
    »Um Liebe«, erwiderte Mary wehmütig. »Um wahrhaftige Liebe, Kitty, um Ehre und um Treue. Dinge, die – so fürchte ich – ein wenig außer Mode gekommen sind.«
    »Waren sie denn jemals in Mode?«
    »Ich denke doch. Jedenfalls möchte ich das gern glauben. Die Art, wie Scott von diesen Dingen schreibt, die Worte, die er dafür findet …« Mary schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in dieser Weise darüber schreiben könnte, wenn er solche Dinge nicht jemals selbst erlebt hätte.«
    »Wollen Sie mir etwas daraus vorlesen, Mylady?«
    »Gern.« Mary freute sich, dass ihre Begleiterin Interesse an der hohen Kunst des geschriebenen Wortes zeigte. Bereitwillig rezitierte sie aus dem Roman, der aus der Feder Walter Scotts geflossen war. Und mit jeder Zeile, die sie las, bewunderte sie seine Dichtkunst nur noch mehr.
    Scott schrieb von einer Zeit, in der Liebe und Ehre mehr als nur hohle Worte gewesen waren. Sein Roman, der im England des Mittelalters spielte, handelte von stolzen Rittern und edlen Frauen, von Helden, die sich in ritterlicher Minne nach ihrer Angebeteten verzehrten und ihre Ehre mit spitzer Klinge verteidigten … von einer Ära, die verloren war und wohl niemals wiederkehren würde, hinweggefegt vom Wind der Zeit.
    Mary war gefesselt. Scott verstand es, mit der Kraft seiner Poesie genau das auszudrücken,

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