Die Bruderschaft der Runen
waren die Highlands, das Land ihrer Väter …
Jäh endete der Traum.
Ein Schlagloch auf der schmalen, von Unebenheiten übersäten Straße sorgte dafür, dass die Kutsche einen Satz machte – und Mary of Egton wurde aus ihrem unruhigen Schlummer gerissen, in den sie während der langen Fahrt gefallen war. Blinzelnd schlug sie die Augen auf.
Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Alles, woran sie sich erinnerte, war der Traum … ein Traum, den sie immer wieder hatte. Der Traum von den Highlands, von den Seen und Bergen. Der Traum von Freiheit.
Die Erinnerung daran verblasste jedoch schnell, und das Erwachen in der Realität war kalt und ungemütlich.
»Gut geschlafen, Mylady?«, erkundigte sich die junge Frau, die ihr im Fond der Kutsche gegenüber saß. Ähnlich wie Mary trug auch sie ein gefüttertes Samtkleid, darüber einen wollenen Mantel, der sie vor der Kälte des rauen Nordens schützen sollte, und dazu ein apartes Hütchen, unter dem Strähnen ihres dunklen Haars hervorlugten. Sie war ein paar Jahre jünger als Mary, und wie immer sprach kindlicher Optimismus aus ihren Augen, eine Fröhlichkeit, die Mary in Anbetracht der Umstände dieser Reise nicht nachvollziehen konnte.
»Danke, Kitty.« Mary rang sich ein Lächeln ab, das ungleich gequälter wirkte als das ihrer jungen Zofe. »Hast du schon einmal etwas geträumt und gehofft, dass du aus diesem Traum nie wieder erwachen würdest?«
»Dann war es wieder derselbe Traum?«, erkundigte sich die Zofe begierig. Neugier war eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften.
Mary nickte nur. Die Freiheit, die sie in ihrem Traum empfunden hatte, wirkte noch immer in ihr nach und schenkte ihr ein wenig Trost, auch wenn sie wusste, dass es nur ein Traum und jenes Gefühl nichts als eine Illusion gewesen war.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Nicht die Freiheit war es, in die Mary von dieser Kutsche geführt wurde, sondern die Gefangenschaft. Sie brachte sie nach Norden, in das wilde und raue Hochland, von dem man sich bei den heimischen Empfängen die unglaublichsten Dinge erzählte: von grimmig kalten Wintern und von Nebel, der so dicht war, dass man sich darin verirren konnte; von derben, ungebildeten Menschen, die keine guten Sitten pflegten und von denen sich einige noch immer sträubten, die Britische Krone anzuerkennen. Freiheit bedeutete diesen Menschen alles.
Mary aber würde dort nicht frei sein. Der Grund, weshalb sie sich nach Schottland begab, war ihre Hochzeit mit Malcolm of Ruthven, einem jungen schottischen Landlaird, dessen Familie zu großem Reichtum gekommen war. Die Heirat war abgesprochen worden, ohne dass man Mary gefragt hätte. Es war eines jener Arrangements, wie sie unter Adelsfamilien üblich waren – zu beiderseitigem Vorteil, wie es hieß.
Natürlich hatte Mary widersprochen. Natürlich hatte sie eingewandt, dass sie keinen Mann heiraten wolle, den sie weder kannte noch liebte. Doch ihre Eltern vertraten die Auffassung, dass Liebe etwas Gewöhnliches, Bürgerliches sei, dessen Bedeutung maßlos überschätzt werde. Aus finanzieller Sicht wie aus gesellschaftlichen Erwägungen heraus konnte ihnen nichts Besseres widerfahren als die Vermählung ihrer Tochter mit dem jungen Laird of Ruthven; Marys Familie gehörte wahrlich nicht zu den reichsten Adelsgeschlechtern, und eine Verbindung mit den Ruthvens bedeutete sowohl einen materiellen als auch gesellschaftlichen Aufstieg – beides Dinge, auf die Marys Eltern großen Wert legten.
Mary hingegen sträubte sich.
Mit aller Kraft hatte sie sich gegen diese Vereinbarung gewehrt, als Eleonore of Ruthven, die Mutter des Lairds, nach Egton gekommen war, um ihre zukünftige Schwiegertochter in Augenschein zu nehmen. Mary war sich vorgekommen wie ein Stück Vieh, das auf dem Marktplatz feilgeboten wurde, und sie hatte ihren Eltern vorgeworfen, sie um einiger Privilegien willen zu verkaufen. Damit jedoch hatte sie die Grenzen des Schicklichen weit überschritten, und der Handel zu wechselseitigem Vorteil war beschlossene Sache gewesen. Malcolm of Ruthven bekam eine schöne junge Frau, und die Egtons wurden ihre rebellische Tochter los, ehe sie ihnen noch mehr Unbill bereiten konnte.
Mary war niemals das gewesen, was ihre Eltern sich wohl gewünscht hätten – keine jener Möchtegernprinzessinnen, die sich auf Bällen und gesellschaftlichen Empfängen tummelten und nichts anderes im Kopf hatten, als einem jungen Earl oder Laird zu gefallen.
Ihre Neigung galt anderen
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