Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
Dingen.
    Schon von Kindesbeinen an hatte sie sich lieber mit Büchern umgeben als mit neuen Kleidern, und sie hatte ihre Nase lieber in Romane gesteckt, anstatt sich in belanglosem Klatsch zu ergehen. Ihr Herz gehörte dem geschriebenen Wort, von dem sie nicht genug bekommen konnte. Denn ihm wohnte die Kraft inne, sie zurück in eine Zeit und Welt zu entführen, in denen Worte wie Edelmut und Ehre noch eine Bedeutung gehabt hatten.
    Ob es die Bücher gewesen waren, die Marys Sehnsucht nach Romantik und Leidenschaft geweckt hatten, oder ob sie in ihnen lediglich fand, wonach ihr Herz schon immer gesucht hatte, wusste sie nicht zu sagen. Aber ihr Wunsch war es stets gewesen, von einem Mann zur Frau genommen zu werden, der sie nicht wegen ihres Standes heiratete, sondern weil er sie innig liebte.
    Für Romantik dieser Art war in der Gesellschaft jedoch kein Platz. Sie war geprägt von Verleumdungen und Intrigen, von Machtkämpfen, die hinter dem Rücken des Gegners ausgetragen wurden, und von politischen Manövern, wie auch Marys Heirat mit Malcolm of Ruthven eines war.
    Ernüchtert hatte Mary erkennen müssen, dass Liebe und Wahrhaftigkeit Dinge waren, die unwiderruflich der Vergangenheit angehörten. Lediglich in ihren Büchern fand sie noch Spuren davon, Prosa und Poesie, die von einer Zeit handelten, die vor einem halben Jahrtausend zu Ende gegangen war …
    Plötzlich setzte das Rumpeln aus, das die Kutsche während der gesamten Fahrt erschüttert hatte. Sie hatten angehalten, und Mary konnte hören, wie der Kutscher vom Bock stieg und sich näherte.
    »Mylady?«
    Mary zog den Vorhang des Fensters beiseite, um einen Blick hinauszuwerfen. »Ja, Winston?«
    »Mylady hatten mich gebeten, Bescheid zu sagen, wenn wir Carter Bar erreichen. Es ist so weit, Mylady.«
    »Sehr gut. Danke, Winston. Ich werde hier aussteigen.«
    »Sind Mylady sicher?« Der Kutscher, ein etwas grobschlächtig wirkender Mann mit blassem Gesicht, das von der Kälte des Fahrtwinds gerötet war, machte eine besorgte Miene. »Die Wege hier sind nicht gepflastert, und es gibt kein Geländer, an dem sich Mylady festhalten könnten.«
    »Ich bin von Adel, Winston, nicht aus Zucker«, belehrte Mary ihn lächelnd und schickte sich an, aus der Kutsche zu steigen. Sie brachte den armen Winston, der in Egton in den Diensten ihrer Familie stand, damit in arge Bedrängnis, denn er hatte alle Hände voll zu tun, die Tür der Kutsche zu öffnen, die kleine Trittbank auszuklappen und seiner Herrin beim Aussteigen zu helfen.
    »Danke, Winston«, sagte Mary und entschädigte den Kutscher mit einem Lächeln. »Ich werde ein Stück spazieren gehen.«
    »Darf ich Mylady begleiten?«
    »Nicht nötig, Winston. Ich kann allein gehen.«
    »Aber Ihre Mutter …«
    »Meine Mutter ist nicht hier, Winston«, versetzte Mary bestimmt. »Alles, worum sie sich sorgt, ist, dass ihre Ware heil und wohlbehalten auf Schloss Ruthven ankommt. Und dafür weiß ich wohl zu sorgen.«
    Der Kutscher senkte betreten den Blick. Als Bediensteter war er nicht gewohnt, dass man so offen mit ihm sprach, und Mary bedauerte sofort, ihn in Verlegenheit gebracht zu haben.
    »Es ist gut«, sagte sie sanft. »Ich werde nur ein paar Schritte gehen. Bitte bleib so lange bei der Kutsche.«
    »Wie Mylady wünschen.«
    Der Kutscher verbeugte sich und gab den Weg frei. Mary, deren Mantel und Samtkleid in dieser Umgebung seltsam unpassend wirkten, trat an den Rand der Straße und ließ den Blick über die weite Landschaft schweifen, die sich jenseits des holprigen Bandes aus Stein und Lehm erstreckte.
    Es war eine freundliche Landschaft aus sanftgrünen Hügeln und Tälern, in denen es kleine Marktflecken, Wiesen, Weiden und Flüsse gab. Die Häuser waren aus Stein gebaut, und aus ihren Schornsteinen stiegen schmale Rauchbänder in den Himmel. Herden weideten auf stoppeligen Wiesen. Hier und dort brach Sonnenlicht durch die Wolkendecke und malte goldene Flecken auf die liebliche Landschaft.
    Mary war überrascht.
    Man hatte ihr gesagt, der Ausblick von Carter Bar vermittle jedem Schottlandreisenden einen ersten Eindruck von der Rohheit und Wildnis, die ihn im Norden erwarteten. Etwa zwanzig Meilen weiter südlich hatte der römische Kaiser Hadrian einen Wall errichten lassen, der schon vor rund 1.700 Jahren die Zivilisation im Süden von der Barbarei im Norden getrennt hatte, und dieser Ruf haftete Schottland auch heute noch an. Von all der Rohheit jedoch, von der Wildnis und Kargheit, von der man sich im

Weitere Kostenlose Bücher