Die Bruderschaft der Runen
am Straßenrand und wohnten dem grausamen Schauspiel betroffen bei. Keiner von ihnen wagte es jedoch, gegen die Soldaten einzuschreiten, die offenbar gewillt waren, an dem wehrlosen Bauern ein blutiges Exempel zu statuieren.
Entsetzt sah Mary, wie der am Boden liegende Mann von einem Gewehrkolben ins Gesicht getroffen wurde. Mit hässlichem Knacken brach seine Nase. Hellrotes Blut spritzte auf das Pflaster.
Mary of Egton wand sich vor Abscheu. Alles in ihr empörte sich gegen die Art, wie mit diesem Mann verfahren wurde, und spontan fasste sie einen mutigen Entschluss.
»Halt!«, gebot sie mit lauter Stimme. Doch die Soldaten hörten sie nicht, sondern prügelten weiter auf den Wehrlosen ein.
Schon wollte Mary los eilen, um dem armen Mann zu helfen, aber Winston, der noch immer ihre Hand hielt, ließ sie nicht los. »Nein, Mylady«, warnte der Kutscher. »Tun Sie das nicht. Bedenken Sie, wir sind in einem fremden Teil des Landes, und wir wissen nicht, wieso …«
Mit einer energischen Bewegung riss Mary sich los. Fremd oder nicht – sie war nicht gewillt, dabei zuzusehen, wie dieser arme Mensch zu Tode geprügelt wurde. Was immer er verbrochen hatte, niemand verdiente es, so behandelt zu werden.
»Halt!«, rief sie noch einmal, und noch ehe Winston oder irgendjemand sonst etwas dagegen unternehmen konnte, trat sie auch schon in den Kreis der Uniformierten, die den am Boden Liegenden traktierten. Verblüfft unterbrachen die Soldaten ihr grausames Werk.
»Wer hat hier den Oberbefehl?«, erkundigte sich Mary forsch.
»Ich, Mylady!«, meldete sich der junge Corporal zu Wort. Seinem Dialekt konnte Mary entnehmen, dass auch er Schotte war – ein Schotte, der einen Landsmann öffentlich verprügelte.
»Was hat dieser Mann getan, dass er es verdient, so behandelt zu werden?«, wollte Mary wissen.
»Verzeihen Sie, Mylady, aber ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht. Treten Sie zur Seite, damit wir unserer Pflicht nachkommen können.«
»Ihrer Pflicht, Corporal?« Mary musterte den Hochländer von Kopf bis Fuß. »Sie sehen es als Ihre Pflicht an, einen wehrlosen, am Boden liegenden Menschen zu treten? Ich muss sagen, Corporal, ich bin wirklich froh darüber, dass es solch pflichtbewusste Soldaten gibt. Da braucht eine Dame wenigstens nicht um ihre Sicherheit zu fürchten – jedenfalls nicht, solange sie nicht am Boden liegt.«
Einige der Schaulustigen lachten dröhnend. Die Gesichtszüge des Corporals nahmen die Farbe seiner Uniform an.
»Es steht Ihnen frei, mich zu beleidigen, Mylady«, sagte er mit bebender Stimme, »aber Sie dürfen mich nicht davon abhalten, diesen Verräter zu strafen.«
»Er ist ein Verräter? Was hat er getan.«
»Er hat sich in abfälliger Weise über das Königshaus geäußert«, lautete die empörte Antwort.
»Und das macht ihn bereits zum Verräter?« Mary hob die Brauen. »Wie steht es da mit einem Corporal, der seine eigenen Landsleute öffentlich misshandelt? Sie sind doch Schotte, Corporal, oder nicht?«
»Natürlich, Mylady, aber …«
Wieder lachten einige der Männer, die vor dem Wirtshaus standen. Zwei von ihnen klatschten vor Vergnügen in die Hände.
»Wenn dieser Mann gegen das Gesetz verstoßen hat, dann führen Sie ihn ab und machen Sie ihm den Prozess«, wies Mary den Unteroffizier zurecht. »Aber wenn er nichts getan hat, was gegen das Gesetz verstößt, und Sie ihn nur deshalb verprügeln, weil Ihnen und Ihren Kumpanen nichts Besseres einfällt, dann lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe, Corporal. Haben Sie mich verstanden?«
Bebend vor Zorn stand der Unteroffizier vor ihr, seine Fäuste ballten sich in hilfloser Wut. Dennoch war ihm klar, dass er nichts unternehmen konnte. Die junge Frau, die ihn vor aller Augen so brüsk zurechtwies, war ganz offensichtlich von Adel, und sie war Britin. In den Augen des Corporals waren das gleich zwei gute Gründe, sich nicht mit ihr anzulegen.
»Ich werde das melden«, gab er zähneknirschend bekannt.
»Tun Sie das«, versetzte Mary bissig. »Ich kann es kaum erwarten, mit dem Befehlshaber Ihrer Garnison eine gepflegte Tasse Tee zu trinken.«
Der Corporal blieb noch einen weiteren Augenblick stehen. Dann wandte er sich wutentbrannt ab und bedeutete seinen Männern, ihm zu folgen. Unter dem Beifall und den Spottrufen der Schaulustigen zogen die Uniformierten ab.
Mary würdigte sie keines Blickes mehr und beugte sich stattdessen zu dem Mann hinunter, der sich vor Schmerzen am Boden wand. Seine Nase war schief,
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