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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Gwynneth fest. Darauf regte sich etwas in Duncans Zügen, und für einen kurzen Moment erinnerte er an den kleinen, unschuldigen Jungen, den sie einst als ihren Bruder gekannt und geliebt hatte.
    Behutsam streckte sie die Hand nach ihm aus. »Bruder«, sagte sie leise, »ich weiß, dass du eine große Verantwortung zu tragen hast. Es ist schwer, auf sich gestellt zu sein und Entscheidungen treffen zu müssen, nicht wahr? Aber du bist nicht allein, Duncan. Vater wird immer bei dir sein, ebenso wie ich. Gemeinsam können wir viel erreichen. Es ist noch nicht zu spät. Alles kann wieder gut werden, hörst du?«
    Für einen Augenblick war tatsächlich Zögern in Duncan Ruthvens Augen zu lesen, eine unbestimmte Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Dinge weniger verworren gewesen waren, in der er noch gewusst hatte, wem seine Loyalität galt und wohin er gehörte.
    Der Graf sah es wohl; plötzlich schienen ihn Bedenken zu plagen, dass sein ergebener Schüler sich von ihm abwenden könnte. »Hör nicht auf sie, Duncan!«, sagte er eindringlich. »Merkst du nicht, was sie vorhat? Sie will deine Entschlossenheit brechen und deinen Verstand vergiften.«
    »Nein«, sagte Gwynneth bestimmt, »das will ich nicht. Ich will nur, dass mein Bruder wieder der wird, der er einst war.«
    »Achte nicht auf sie, Duncan. Ihre Worte sind voller Falsch und Hohn. Sie will dich nur um dein verdientes Erbe bringen, um das, was dir von Rechts wegen zusteht. Spürst du nicht das Gift, das sie mit ihren Worten verspritzt? Sie ist eine Hexe.«
    »Eine Hexe«, echote es tonlos aus Duncans Mund. Das unheimliche Flackern in seinen Augen setzte wieder ein, die Unsicherheit verschwand. Da wusste Gwynn, dass sie verloren hatte. Der Einfluss des Grafen war größer als ihrer, genau wie Kala es prophezeit hatte.
    »Geh mir aus den Augen!«, herrschte Duncan sie an. »Was du auch sagst, Schwester, du wirst mich nicht von meinem Entschluss abbringen. Ich habe mich entschieden, auf wessen Seite ich stehe, und ich werde meine Meinung nicht ändern, weder jetzt noch später. Das Haus Ruthven soll auf ewig mit der Bruderschaft der Runen verbunden sein. Das schwöre ich bei meinem Blut!«
    »O Duncan!« Gwynn schüttelte entsetzt das Haupt. »Du weißt ja nicht, was du sagst.«
    »Im Gegenteil. Die Geschichte ist ein ewiger Kreislauf, Schwester. Alles wiederholt sich. William Wallace hat uns alle belogen. Er hat unseren Vater verraten, und nun wird er verraten. Hast du wirklich geglaubt, du könntest uns aufhalten? Indem du einen einfältigen Mönch ausschickst, um Wallace zu warnen? Ein einziger Pfeil hat ausgereicht, um seinem Tatendrang ein Ende zu setzen. Niemand kann uns aufhalten, Gwynneth. Niemand, hörst du?« Erneut stimmte er das kalte, höhnische Gelächter an, in welches der Graf mit einfiel.
    Gwynn konnte nicht anders, als tiefen Abscheu zu empfinden. »Was ist nur aus dir geworden, Bruder?«, flüsterte sie schaudernd.
    »Ich habe das wahre Wesen der Dinge erkannt. Und nenne mich nie wieder deinen Bruder, denn von diesem Augenblick an ist das Band zwischen uns zerschnitten. Du hast gegen mich gearbeitet und wolltest mich an den Feind verraten. Nicht länger sollst du ein Mitglied unserer Familie sein, sondern eine Ausgestoßene ohne Land und Namen. Du sollst bekommen, was du als Verräterin verdienst.«
    »Nein«, hauchte Gwynn, aber die Züge ihres Bruders blieben hart und unnachgiebig. Laut rief er nach den Wachen und wies sie an, sie in die oberste Kammer des Westturms zu sperren, bis er entschieden hätte, was mit ihr geschehen sollte.
    »Duncan, mein Bruder«, rief Gwynn mit Tränen in den Augen. »Was ist nur aus dir geworden? Welcher Dämon hat von dir Besitz ergriffen?«
    »Ich kann dich nicht hören«, erwiderte der Herr von Ruthven kalt, »denn ich habe keine Schwester mehr. Und du, Weib, hüte deine Zunge, ehe ich sie dir heraustrennen lasse. Hinfort mit dir!«
    Die Wächter ergriffen Gwynn und führten sie ab, aus der Kammer und hinaus auf den Korridor. Noch einmal wandte sie sich um, erheischte einen letzten Blick auf die steinerne Miene ihres Bruders und den hämisch lachenden Grafen. Dann schlug die Tür hinter ihr zu, und vor ihr lag der lange, dunkle Gang in eine ungewisse Zukunft.
    Wie gebannt las Mary den Bericht zu Ende, und einmal mehr fühlte sie sich, als nähme sie selbst an den Geschehnissen teil, die sich damals auf Burg Ruthven abgespielt hatten …
    Man brachte Gwynneth in den Westturm und setzte sie in der Turmkammer

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