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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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öffnete und ihren Bruder sah, freute sie sich, denn schon sehr lange hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Dann jedoch erblickte sie die Männer, die ihn begleiteten: zwei bewaffnete Wächter und außerdem ein Mann, dessen Alter unmöglich zu schätzen war. Sein Haar war grau und lang und wallte bis auf die Schultern herab, und ein wahres Ungetüm von Bart wucherte in seinem Gesicht.
    Der Blick seiner Augen, die unter schwarzen Brauen hervorstarrten, war kalt und unheimlich. Seine gekrümmte Nase war scharf wie ein Messer, der Mund nur ein schmaler Strich. Gwynn konnte sich nicht erinnern, den Mann jemals zuvor gesehen zu haben – bis er sich bückte, um zusammen mit Duncan in ihre Kammer zu treten.
    Der gebeugte, ein wenig schleppende Gang des Fremden kam Gwynneth sofort bekannt vor: Es war der Druide, der Anführer der Bruderschaft. Sie gab sich Mühe, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Sich zur Ruhe zwingend, wartete sie, bis Duncan und sein Begleiter eingetreten waren. Leise fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, die beiden Wachen blieben draußen.
    »Wie geht es dir, Schwester?«, erkundigte sich Duncan in lauerndem Tonfall, und Gwynn ahnte, dass dieses Gespräch keinen guten Verlauf nehmen würde.
    »Wie sollte es mir gehen?«, fragte sie, während Duncans Begleiter sie unverblümt anstarrte. Die Gegenwart des Mannes war so einschüchternd, dass Gwynn unwillkürlich zurückwich.
    »Ich hoffe doch, dass es dir gut geht?«
    Gwynn kannte Duncan lange genug, um zu wissen, dass ihm nicht wirklich an ihrem Wohlbefinden gelegen war. »Was willst du, Duncan?«, fragte sie deshalb geradeheraus. »Und wer ist dieser Mann?«
    »Natürlich.« Duncan nickte. »Wahren wir die guten Sitten. Das, liebe Schwester, ist Graf Millencourt.«
    »Ein Graf?«, fragte Gwynn erstaunt. »Von welchem Clan?«
    »Von keinem Clan, meine Liebe«, erwiderte Millencourt selbst, und Gwynneth erkannte die Stimme wieder, die in der Nacht unheimliche Beschwörungsformeln gemurmelt und die Pläne der Verschwörer dargelegt hatte. »Ich komme nicht aus Schottland, sondern aus Frankreich, einem großen Land, das auf der anderen Seite des Meeres liegt.«
    »Mir ist durchaus bekannt, wo sich Frankreich befindet«, versetzte Gwynn, ihre Abneigung kaum verbergend. »Nur wusste ich nicht, dass mein Bruder dort Freunde hat.«
    »Der Graf ist weit mehr als das, Schwester«, wies Duncan sie brüsk zurecht. »Er ist nicht nur ein Freund, sondern ein treuer Verbündeter, der mir helfen wird, die Feinde Ruthvens zu besiegen. Und er ist kein Fremder in unserem Land, denn seine Wurzeln sind keltisch, genau wie unsere.«
    »Seither ist einige Zeit vergangen«, sagte der Graf, und ein falsches Lächeln umspielte seinen schmalen Mund. »Viel hat sich geändert in diesem Land. Aber vielleicht wird eines Tages alles wieder so werden, wie es früher war.«
    »Das will ich nicht hoffen«, versetzte Gwynn in einem Anflug von Starrsinn. Die Art des Grafen gefiel ihr nicht, sie war voller Hinterlist und Hochmut.
    »Du solltest dem Grafen gegenüber ein wenig höflicher sein, Schwester«, mahnte Duncan. »Schließlich ist er ein Gast unseres Hauses.«
    »In erster Linie ist er dein Gast, Duncan. Ich glaube nicht, dass Vater ihn in unserem Haus willkommen geheißen hätte.«
    »Aber unser Vater ist nicht mehr am Leben!«, sagte Duncan so laut, dass seine Stimme sich fast überschlug. »Die Zeiten haben sich geändert. Ich bin jetzt der Herr von Ruthven, ich ganz allein, und es steht mir frei, mir meine Freunde und Verbündeten selbst auszuwählen.«
    »So ist es«, räumte Gwynneth ein. »Aber du solltest dabei große Sorgfalt walten lassen, denn nicht immer sind Menschen das, was sie zu sein vorgeben.«
    »Ich weiß«, sagte Duncan und senkte das Haupt. Für einen Augenblick glaubte Gwynneth schon, ihre Worte hätten ihn tatsächlich zum Nachdenken gebracht; als er den Kopf jedoch wieder hob, loderte ein Feuer in seinen Augen, das sie erschreckte. »Wie ich feststellen musste, Schwester, sind es gerade diejenigen, die mir am nächsten stehen, denen ich nicht vertrauen kann und die mir in diesen Tagen in den Rücken fallen.« Damit griff er unter seinen Umhang und zog einen Gegenstand hervor, den er Gwynneth hinhielt. »Erkennst du das wieder?«
    Gwynn erkannte es sehr wohl, und sie schlug die Hand vor den Mund, um nicht laut zu schreien. Es war ein schlichtes Holzkreuz – jenes Kreuz, das Pater Dougal um den Hals getragen hatte.
    »Was ist

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