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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sie ihm verweigerte. Wenn er es nicht bekäme, würde er Gewalt anwenden, und wehe, wenn sie sich ihm widersetzte. In der vergangenen Nacht hatte der Erbe von Ruthven sein wahres Gesicht gezeigt. Mary fürchtete in der Tat um ihr Leben, und die düstere Weissagung des Schmiedegesellen machte ihr zusätzlich Angst. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät, um das drohende Schicksal abzuwenden.
    Wie alle jungen Frauen von Adel war Mary zur Pflichterfüllung erzogen worden. Auch wenn es ihr nicht behagt hatte, in die Fremde geschickt zu werden, hätte sie Malcolm of Ruthven geheiratet, um dem Wunsch ihrer Familie nachzukommen und den Ruf des Hauses Egton zu wahren.
    Aber niemand, weder ihr Vater noch irgendjemand sonst auf dieser Welt, konnte von ihr verlangen zu bleiben, wenn ihr Leben bedroht war. Mary würde nicht ihr Leben opfern, nur um ihrer Familie zu gefallen.
    Ein kühner Entschluss reifte in ihr heran.

6.
    D ie Übersetzung der Zeichen, die Sir Walter und Quentin auf dem Sarkophag von Robert the Bruce gefunden hatten, erwies sich als weitaus schwieriger als erwartet. Nicht nur, dass jedes der Zeichen gleich über mehrere Bedeutungen verfügte, auch ihre Reihenfolge war völlig unklar, und so verbrachten die beiden einen ganzen Nachmittag damit, die Runen in immer neue Zusammenhänge zu setzen, ohne dass ihre Bedeutung sich offenbart hätte. Mehr als einmal wünschte Sir Walter, sein alter Freund und Mentor Gainswick wäre noch bei ihnen, um ihnen bei der Lösung des Rätsels beizustehen.
    In zwei Tagen würde Gainswick auf dem alten Friedhof von Edinburgh beigesetzt werden, in unmittelbarer Nachbarschaft jener Künstler und Gelehrten, die er sein Leben lang bewundert hatte. Sir Walter wusste, dass sich der Professor darüber gefreut hätte, aber es konnte ihn nicht trösten. Die Lücke, die Gainswicks Tod hinterließ, war schmerzlich und nicht zu füllen, und seine Mörder waren noch immer auf freiem Fuß. Zwar setzten die Constables alles daran, sie aufzuspüren, aber Sir Walters Vertrauen in die Gesetzeshüter hatte in den letzten Wochen sehr gelitten.
    Hatte Inspector Dellard nicht versprochen, dass sie in Edinburgh sicher wären? Dass sich die Sektierer nicht in die großen Städte wagten? Einmal mehr hatte er sich geirrt, und in Sir Walter war die Erkenntnis gereift, dass er selbst das Rätsel lösen musste. Zu viel stand auf dem Spiel, und außer ihm schien niemand die Zusammenhänge sehen zu wollen. Je mehr Quentin und er herausfanden, desto komplexer wurde das Geflecht von Intrige, Aberglaube, Täuschung und Verbrechen. Aber Sir Walter hatte auch das Gefühl, dass sie kurz davor standen, das Geheimnis zu lüften.
    »Fangen wir noch einmal an«, schlug er vor, während er nachdenklich auf die mit Runenzeichen versehenen Blätter blickte, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet lagen. »Dieses Zeichen kennen wir mit Sicherheit – es ist die Schwertrune, die alle anderen Zeichen dominiert. Jene Rune, die wir an der Stirnseite des Sarkophags gefunden haben, bedeutet ›Gemeinschaft‹ oder ›Bruderschaft‹ – damit dürfte die Sekte selbst gemeint sein.«
    »Auch bei diesen dort können wir uns einigermaßen sicher sein«, sagte Quentin und deutete auf zwei weitere Symbole. »Dies ist das Zeichen für ›Stein‹. Das andere bezeichnet das gälische Wort ›Cairn‹, was ebenfalls ›Fels‹ oder ›Stein‹ bedeutet.«
    »Oder eine ganze Ansammlung von Steinen«, gab Sir Walter zu bedenken.
    »Onkel!«, rief Quentin plötzlich. »Sagtest du nicht, dass jene Rune dort für ›Vollkommenheit‹ und ›Vollendung‹ steht?«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Na ja«, murmelte Quentin, der plötzlich in heller Aufregung war, »ich meine, in vielen alten Kulturen gilt die geometrische Form des Kreises als Inbegriff höchster Vollkommenheit.«
    »Und?«
    »Möglicherweise«, fuhr Quentin triumphierend fort, »muss diese Rune zusammen mit den beiden anderen gelesen werden und bezeichnet nichts anderes als den Kreis der Steine, von dem wir in der Bibliothek gelesen haben.«
    Sir Walter schaute Quentin so unverwandt an, dass dessen Euphorie schlagartig versiegte. »Es ist nur eine Theorie, Onkel«, fügte er vorsichtig hinzu und zuckte mit den Schultern. »Sicher habe ich etwas übersehen, was du schon längst erkannt hast.«
    »Keineswegs«, widersprach Sir Walter, »und du solltest meinen Blick nicht missdeuten, mein Junge. Ich bin voller Bewunderung für deinen Scharfsinn.«
    »Wirklich?«
    »In der Tat.

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