Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
seine Glieder, schlagartig war er hellwach. Ein erstickter Schrei entwich seiner Kehle, der auch Quentin erwachen ließ.
    »Onkel, was …?«
    Der Junge brach ab, als er die Vermummten sah. Sein Mund blieb offen stehen, und die Stimme versagte ihm. Panische Angst befiel ihn, und unwillkürlich fühlte er sich an jenen schrecklichen Augenblick erinnert, als er in der Bibliothek von Kelso dem dunklen Schatten begegnet war.
    Dann aber fiel Quentin auf, dass die Vermummten keine schwarzen, sondern braune Kutten trugen. Außerdem führten sie schlichte, lange Stöcke aus geschmeidigem Holz bei sich. Wie die Männer ins Haus gekommen waren, konnte Quentin sich nicht erklären.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Sir Walter, der noch vor seinem Neffen die Sprache wieder fand. »Was fällt Ihnen ein, widerrechtlich mein Haus zu betreten?! Verschwinden Sie augenblicklich, ehe ich den Constable alarmiere!«
    Der Anführer der Eindringlinge, der Sir Walter am nächsten stand, langte daraufhin an seine Kapuze und schlug sie zurück. Sowohl Sir Walter als auch Quentin schnappten hörbar nach Luft, als sie in die Züge von Abt Andrew blickten.
    »Ehrwürdiger Abt!«, rief Scott mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen.
    »Guten Abend, Sir Walter«, grüßte der Ordensmann. »Und auch Ihnen einen Guten Abend, Master Quentin. Ich bitte Sie, meinen Mitbrüdern und mir dieses ungebetene Eindringen zu verzeihen, aber die Umstände ließen uns keine andere Wahl.«
    »Welche Umstände?«, fragte Sir Walter. Seinen Schrecken hatte er bereits überwunden, und seine Vernunft gewann sogleich wieder die Oberhand. »Weshalb sind Sie nicht in Kelso? Und überhaupt – was hat dieser Aufzug zu bedeuten?«
    »Sie werden alles erfahren«, beschwichtigte der Abt Sir Walters berechtigte Neugier. »Die Zeit ist gekommen, dass wir uns Ihnen zu erkennen geben, meine Herren, denn die Dinge haben eine dramatische Wendung genommen, die wir nicht vorhersehen konnten. Und ich fürchte, dass Ihnen beiden eine entscheidende Rolle zukommen wird …«
    Mary of Egton war noch immer auf der Flucht.
    Vier Tage lang war sie durch endlos scheinendes Hügelland geritten, immer weiter nach Süden. Dabei hatte sie sich stets abseits der Wege gehalten und es vermieden, anderen Reisenden zu begegnen.
    Dass es für eine Frau keineswegs ungefährlich war, allein durch dieses wilde, raue Land zu reisen, in dem Gesetzlose ihr Unwesen trieben, war Mary klar. Aber die Aussicht, in die Fänge von Wegelagerern zu geraten, erschien ihr weniger schlimm als jene, zu Malcolm of Ruthven zurückkehren und den Rest ihrer Tage in den tristen Mauern seiner Burg zubringen zu müssen. Also setzte sie ihren Weg fort.
    Die Nächte verbrachte sie in schäbigen kleinen Gasthöfen abseits der Hauptstraße. Für ein wenig Schweigegeld verzichteten die Wirte dort auf überflüssige Fragen, und sie konnte sichergehen, nicht entdeckt zu werden. Zuletzt hatte sie im Stadel eines kleinen Gehöfts geschlafen. Wegen ihres Umhangs, dessen Kapuze sie sich weit ins Gesicht gezogen hatte, hatte der Bauer sie für einen Botenjungen gehalten, und sie hatte nichts getan, um seinen Irrtum aufzuklären. Wohl aus Mitleid für die magere, durchnässte Gestalt – es hatte den ganzen Tag über unaufhörlich geregnet – hatte er Mary gestattet, in der Scheune zu übernachten.
    Im Stroh zu schlafen wie arme Leute war für die junge Adelige eine neue Erfahrung gewesen. Mehrmals war sie aufgewacht, weil ihr Rücken geschmerzt, das Stroh sie gepiekt oder das Vieh im angrenzenden Stall laut gemurrt hatte. Dennoch war Mary nicht unglücklich gewesen, denn dies war das Leben, einfach, aber wahrhaftig. So also fühlte sich Freiheit an.
    Noch vor Tagesanbruch war sie aufgebrochen und dem schmalen Pfad nach Süden gefolgt, und zum ersten Mal seit Tagen hatte sich der Nebel mit Aufgang der Sonne gelichtet. Die Landschaft, von der Mary in den letzten Tagen nur wenig zu sehen bekommen hatte, hatte sich verändert. Die Hügel waren nicht mehr kahl und braun wie in den Highlands, das Gras grüner und saftiger; statt karger Büsche und Ginsterranken ragten nun Bäume auf, die im Licht des Sommers gelbgrün leuchteten. Ihre Furcht schwand. Zum ersten Mal hatte Mary das Gefühl, wieder frei atmen zu können.
    Nach Mittag erreichte sie eine Kreuzung, wo der Pfad, dem sie gefolgt war, auf die Hauptstraße stieß. Mary erinnerte sich, diese Stelle passiert zu haben, als Kitty und sie nach Ruthven gefahren waren, und ihr

Weitere Kostenlose Bücher