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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Pulsschlag beschleunigte sich, als ihr klar wurde, dass es nicht mehr weit sein konnte bis Abbotsford. Nun, da sie sich so dicht vor dem Ziel befand, gab sie ihre Vorsicht auf und nahm die Hauptstraße, die sie am Tweed entlang bis zu Sir Walters Landsitz führen würde.
    Je weiter sie der Straße folgte, desto größer wurde ihre Zuversicht, und als schließlich sogar die Wolkendecke aufbrach und freundlich gelbes Sonnenlicht durch das Blätterdach der Bäume sickerte, empfand Mary regelrechte Euphorie. Dann wurde ihr klar, dass sie sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, was sie Sir Walter sagen wollte. Bislang hatte ihre ganze Aufmerksamkeit ihrer Flucht gegolten; ihr einziges Ziel war es gewesen, Malcolm of Ruthven zu entkommen. Nun jedoch war es an der Zeit, ein Stück weiter zu denken.
    Sollte, durfte sie Sir Walter die Wahrheit sagen?
    Nicht, dass Mary dem Herrn von Abbotsford nicht vertraut hätte, aber hatte sie das Recht, ihn in diese Sache hineinzuziehen? Immerhin war zwischen ihren Eltern und der Familie Ruthven ein rechtskräftiger Vertrag geschlossen worden, und sie wollte nicht, dass Sir Walter in die Streitigkeiten verwickelt wurde, die es zweifellos geben würde. Andererseits wusste sie, dass er in Rechtsdingen beschlagen war wie kaum ein anderer. Wer also, wenn nicht er, konnte ihr helfen, ein neues Leben zu beginnen?
    In Gedanken versunken setzte Mary ihren Weg fort, bis durch das dichte Grün der Bäume das Rauschen eines nahen Flusses zu hören war. Der Tweed – nun war es nicht mehr weit bis Abbotsford! Gerade wollte Mary ihrem Pferd die Sporen geben, um den Rest des Wegs geschwind hinter sich zu bringen, als das Dickicht zu beiden Seiten der Straße plötzlich zum Leben erwachte.
    »Halt!«, rief eine laute Stimme, und unmittelbar vor Mary schoss ein aus Seilen geknüpftes Netz in die Höhe, das unter Sand und Laub verborgen gewesen war und ihr den Weg abschnitt.
    Ihr Pferd wieherte panisch und scheute, bäumte sich auf der Hinterhand auf. Mary musste all ihre Reitkünste aufbieten, um nicht abgeworfen zu werden. Es gelang ihr mit Mühe, sich im Sattel zu halten und das Tier zu beruhigen. Als sie sich umblickte, sah sie sich von Männern umringt, die rote Uniformen trugen und mit langläufigen Musketen bewaffnet waren – Soldaten!
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Mary wütend.
    »Absteigen!«, befahl einer der Soldaten, ein Corporal mit wild entschlossener Miene.
    »Was ist das? Ein Überfall?«
    »Steig ab«, befahl der Corporal noch einmal, »oder ich gebe den Befehl, dich zu erschießen, Bursche!«
    Mary atmete innerlich auf. Wegen des Umhangs und der Art, wie sie auf dem Pferd saß, hatte der Corporal nicht bemerkt, dass sie eine Frau war – vielleicht würde sie ihn in diesem Glauben lassen können. Da sie von Gewehrläufen umgeben war, sah Mary keine andere Möglichkeit, als sich der Anordnung zu fügen. Widerstrebend stieg sie aus dem Sattel, bemüht, dabei wie ein Mann auszusehen.
    »So ist es gut. Und jetzt die Kapuze runter.«
    »Weshalb?«
    »Hörst du nicht, was ich sage? Müssen wir dir erst Gehorsam beibringen, Bursche?«
    Mary biss die Lippen zusammen. So kurz vor dem Ziel aufgehalten zu werden war ärgerlich und frustrierend zugleich. Zwar fürchtete sie sich nicht vor den Soldaten, wohl aber vor den Fragen, die diese stellen würden, wenn sie erst herausfänden, dass sie eine Frau war.
    Mit einer beiläufigen Handbewegung schlug Mary die Kapuze des Mantels zurück, und ihr blondes Haar kam zum Vorschein, das im spärlichen Sonnenlicht golden schimmerte. »Sind Sie jetzt zufrieden?«, fragte sie und blitzte den Corporal wütend an.
    Wenn die Soldaten überrascht waren, so zeigten sie es nicht. Der Corporal nickte einem seiner Untergebenen zu, der sich daraufhin zurückzog und im Wald verschwand.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Mary. »Weshalb halten Sie mich auf? Ich protestiere energisch gegen dieses Vorgehen, hören Sie?«
    Weder der Unteroffizier noch seine Schergen antworteten ihr. Dafür kehrte wenig später der Soldat in Begleitung eines weiteren Mannes zurück, dessen Auftreten und Aussehen etwas Respektgebietendes hatten.
    Glattes schwarzes Haar umrahmte ein schmales, asketisches Gesicht, in dem ein eisiges Augenpaar funkelte. Die Züge des Mannes verrieten Entschlossenheit, seine Haltung und die Art, wie er sich bewegte, Autorität und Stolz. Mary kannte sich in den militärischen Dienstgraden nicht sehr gut aus, aber die tadellose, mit

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