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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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willenlosen Puppe hatte machen wollen.
    Auf der Flucht aus einer Welt, die sie eingeengt und ihr die Luft zum Atmen genommen hatte.
    Ihr war nicht viel Zeit geblieben, um ihren Entschluss zu überdenken. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, so lange sie sich geboten hatte. Hätten Malcolm und seine Mutter geahnt, dass Mary sich mit Fluchtgedanken befasste, hätten sie alles darangesetzt, es zu verhindern.
    Nur wenige Stunden waren Mary geblieben, um ihr Vorhaben zu planen. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte sie ihr Gemach verlassen und war hinuntergegangen in die Gesindeküche, wo Sean der Schmiedegeselle und seine Freunde bereits auf sie gewartet hatten.
    Einer der Pferdeburschen hatte für sie aus dem Stall ein Ross entwendet, eine der Zofen einen grünen Jagdumhang besorgt, der sie sowohl vor dem Wetter als auch vor neugierigen Blicken schützen würde, eine der Mägde schließlich einen Korb mit Proviant.
    Sean hatte ihr dabei geholfen, das Pferd zu satteln und zu zäumen. Anschließend hatte er sie an den Wächtern und den Spitzeln der Ruthvens vorbei aus der Burg geschleust. Durch den schmalen Hinterausgang, der in die trutzige Mauer eingelassen war, hatte Mary die Burg verlassen wie eine Diebin im Schutz der Dunkelheit.
    Zum ersten Mal, seit sie nach Ruthven gekommen war, war Mary für den Nebel dankbar, der zäh über den Hügeln lag und sie vor neugierigen Blicken schützte. Noch einmal wandte sie sich um, sah die Türme und Mauern in milchigem Schleier verschwinden, und für einen kurzen Moment war ihr, als stünde auf dem Söller eine dunkle Gestalt, genau wie am Tag ihrer Ankunft. Mary glaubte zu sehen, dass die Gestalt ihr zuwinkte; im nächsten Augenblick war sie jedoch im Nebel verschwunden, und Mary hätte nicht zu sagen vermocht, ob sie nun wirklich gewesen war oder nur eine Täuschung.
    Die junge Frau umfasste die Zügel ihres Pferdes fester und lenkte es den steinigen Pfad hinab. Die Hauptstraße wollte sie meiden, weil man dort zuerst nach ihr suchen würde. Sean hatte ihr den Weg nach Darloe, dem nächstgelegenen Dorf, genau beschrieben; er führte an der Schlucht entlang bis zu den Ausläufern der Hügel. Dort, wo er die Straße kreuzte, die von Cults heraufführte, sollte Mary dem Lauf des Flusses folgen. Auf diese Weise würde sie zum Dorf gelangen. Der dortige Schmied war der Bruder von Seans Lehrherr und würde ihr für die Nacht Zuflucht gewähren.
    Im Nebel kam das Pferd nur langsam voran. Vorsichtig setzte es einen Huf vor den anderen, während die Schwaden immer dichter wurden. Kälte kroch unter Marys Umhang und ließ sie frösteln. Durch den Nebel klangen die Huftritte des Pferdes seltsam dumpf. Sonst war kein Laut zu hören, weder das Kreischen von Vögeln noch das Pfeifen des Windes. Es war, als stünde die Zeit still, und ein leises Grauen ergriff von Mary Besitz.
    Immer wieder blickte sie sich um, vergewisserte sich, dass niemand ihr folgte. Sie zuckte zusammen, als sie mehrere riesenhafte Gestalten sah – um gleich darauf festzustellen, dass es kahle Bäume waren, die den Wegrand säumten und deren Umrisse im Nebel nur undeutlich zu erkennen waren.
    Dennoch beruhigte sich Mary nicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Noch immer fürchtete sie, auf ihrer Flucht entdeckt und gefasst zu werden. Wenn sie zurück nach Ruthven gebracht würde, so würde sie ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Allerdings konnte sie auch nicht zu ihrer Familie nach Egton zurückkehren. Ihre Eltern hatten sie Malcolm in die Ehe gegeben, hatten ihr Wort darauf verpfändet, dass sie ihm eine treue und gehorsame Gattin sein werde. Ihre Tochter wieder in ihr Haus aufzunehmen war ihnen deshalb nicht mehr möglich, selbst wenn sie es gewollt hätten.
    Mary würde also selbst sehen müssen, wo sie unterkam. Durch ihre Flucht hatte sie alles verloren: ihren Besitz, ihren Titel, ihre Privilegien. Aber dafür hatte sie ihre Freiheit gewonnen.
    Fieberhaft hatte Mary überlegt, wohin sie sich auf ihrer verzweifelten Flucht wenden könnte. Wer mochte Verständnis für ihre Lage aufbringen, wer mutig genug sein, eine junge Frau aufzunehmen, die ihrem Stand entsagt hatte, um in Freiheit leben zu können?
    Nur eine Antwort war ihr auf diese Frage eingefallen: Sir Walter Scott.
    Sie hatte die Güte und Gastfreundschaft des Herrn von Abbotsford und seiner Gemahlin bereits einmal genossen. Mary war sicher, dass Sir Walter ihr in seinem Haus Zuflucht gewähren würde, wenn sie ihm

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