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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Abneigung gegen alles Künstliche, Übersteigerte, was sie die Vorzüge der einfachen Küche schätzen ließ – der derb gewürzte Schafsmagen schmeckte ihr weit besser als die Rebhühner und Fasane, die auf langweiligen Empfängen gereicht wurden.
    Auch entgingen ihr keineswegs die Blicke, mit denen die anwesenden Männer und Frauen immer wieder verstohlen herüberschauten. Mary hatte Blicke wie diese noch nie zuvor gesehen, doch ihr war bald klar, was sie bedeuteten.
    Hunger.
    Die Leute, die dort an den Nachbartischen saßen, waren bettelarm. Ein ganzer Haggis war vermutlich mehr, als sie und ihre Familien in einem ganzen Monat zu essen bekamen. Als sich Winston kurz darauf beschwerte, dass die Schotten wohl nicht wüssten, wie vernünftiges Ale zu brauen sei, wies Mary ihn scharf zurecht. Sie konnte nicht sagen, wieso, aber etwas in ihr hatte instinktiv Partei ergriffen für die Menschen, die dieses ihr fremde Land bewohnten – etwas, das tief aus ihrem Inneren kam und dessen Ursprung sie nicht zu benennen vermochte.
    So saßen sie schweigend am Tisch, der nicht weit vom Kaminfeuer stand, das wohlige Wärme verbreitete. Weder Kitty noch Winston wagten es, ein Wort zu sagen; der Kutscher, weil er sich für seinen Geschmack bereits genug Rügen für einen Tag eingefangen hatte, und die junge Zofe, weil sie ihre Herrin beim besten Willen nicht verstand.
    Gerade wollte Mary bekannt geben, dass sie sich zur Nachtruhe nach oben zu begeben gedachte, als sich einer der anderen Gäste von seinem Tisch erhob und mit schwerfälligen Schritten herüberkam. Es war der alte, bärtige Schotte, der Mary vor dem Gasthaus angesprochen hatte. Die Pfeife steckte noch immer in seinem Mundwinkel. Beim Gehen stützte er sich auf einen knorrigen Stock, dessen Knauf mit kunstvollen Schnitzereien verziert war.
    »Darf ich mich setzen, Mylady?«, fragte er mit vom Ale schwerer Zunge.
    »Nein«, erwiderte Winston barsch und erhob sich von seinem Stuhl. »Mylady wünscht nicht …«
    »Natürlich dürfen Sie«, meinte Mary lächelnd und wies auf den Stuhl am Ende des länglichen Tisches.
    »Aber Mylady«, ereiferte sich Winston. »Er ist doch nur ein einfacher Bauer! Er hat an Ihrem Tisch nichts verloren!«
    »Ebenso wenig wie ein einfacher Kutscher«, versetzte Mary gleichmütig. »So ist das eben auf Reisen.«
    »Sie sind auf Reisen?«, fragte der alte Schotte, nachdem er sich gesetzt hatte. »Wollen wohl nach Norden?«
    »Das geht dich nichts an«, sagte Winston barsch. »Mylady wird nicht …«
    Ein strafender Blick Marys ließ ihn verstummen. Schmollend setzte sich der Kutscher wieder auf seinen Platz und sah dabei aus, als hätte man ihn gezwungen, noch einen Krug von dem verhassten schottischen Bier zu trinken.
    »Ja, wir wollen nach Norden«, gab Mary dem alten Schotten höflich Auskunft, der ihr auf seltsame Art vertraut erschien – fast so, als wäre sie ihm schon einmal begegnet. Dabei hatte sie die Grenze von Carter Bar noch nie zuvor in ihrem Leben überschritten. Es war mehr ein Gefühl, eine Ahnung, die tief aus ihrem Inneren emporstieg.
    »Ihre erste Reise nach Schottland?«
    Mary nickte.
    »Und es gefällt Ihnen hier?«
    »Ich weiß nicht.« Mary lächelte verlegen. »Ich bin heute erst angekommen. Zu früh, um mir schon ein Urteil zu bilden.«
    »Dann haben Sie Ihren Landsleuten etwas voraus«, meinte der alte Schotte mit freudlosem Lächeln. »Die meisten Engländer, die zu uns kommen, wissen schon am ersten Tag, dass es ihnen hier nicht gefällt. Das Land ist rau, das Wetter kalt, und das Bier schmeckt nicht so wie zu Hause.«
    »So etwas gibt es?«, fragte Mary, wobei sie Winston mit einem strafenden Blick bedachte.
    »Allerdings, Mylady. Aber Sie sind anders, das kann ich in meinen alten Knochen fühlen.«
    »Wie meinst du das?«
    Der Alte setzte seine Pfeife ab, paffte einen letzten Kringel in die dicke, nach Ale und kaltem Schweiß riechende Luft. Dabei umspielte ein jungenhaftes Lächeln seine Züge.
    »Ich bin alt, Mylady«, sagte er. »Sechsundsiebzig verdammte Winter habe ich schon mitgemacht, das ist in dieser Gegend eine Menge. Ich bin im gleichen Jahr auf die Welt gekommen, in dem dieser verdammte Schlächter Cumberland uns die Schmach von Culloden zugefügt hat. Seither habe ich viele Engländer kommen und gehen sehen. Für die meisten von ihnen ist unser schönes Land nichts weiter als etwas, das man ausbeuten, dem man jeden verdammten Penny abpressen kann. Aber Sie sind aus einem anderen Holz

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