Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
Steile Wände von Lehm und Sand umlagerten das an dieser Stelle nur schmale Flussbett, das viele Yards unterhalb der Brücke verlief. Eine kühne, gleichwohl zerbrechlich wirkende Architektur miteinander verbundener Baumstämme trug die Konstruktion.
    Nur eine halbe Meile südlich der hölzernen Brücke befand sich die Kreuzung, an der die Straßen von Jedburgh und Kelso zusammenfanden. Vom Hügel aus ließ sich sowohl die Kreuzung als auch die Brücke gut einsehen. Der Reiter brauchte weiter nichts zu tun, als abzuwarten. Sein finsteres Werk hatte er bereits verrichtet.
    Er hatte einen Umhang aus dunkelgrüner Wolle angelegt, der ihn mit der Umgebung verschmelzen ließ und ihn unter den tief hängenden Ästen der Bäume fast unsichtbar machte. Vor dem Gesicht trug er eine Maske aus Stoff, die nur schmale Sehschlitze frei ließ, ansonsten aber seine Züge ganz verhüllte – ein weiteres Indiz dafür, dass er Unredliches im Schilde führte.
    Der Mann war außer Atem. Sein breiter Brustkorb hob und senkte sich heftig unter dem Umhang, und das Fell seines Rappen glänzte von Schweiß. Ihm war kaum genug Zeit geblieben, den Auftrag in die Tat umzusetzen, den man ihm erteilt hatte. Alles hatte schnell gehen müssen, hatte keine Verzögerung geduldet. Wenn die Kutsche aus Kelso die Kreuzung passiert hatte, gab es kein Zurück mehr.
    Vor wenigen Minuten war im Osten das Rauchsignal aufgestiegen, was bedeutete, dass Scotts Kutsche den Wald verlassen hatte. Bald würde er an der Kreuzung eintreffen.
    Der Reiter richtete sich im Sattel auf und spähte mit Argusaugen zwischen den Zweigen hindurch, um sich noch einmal zu vergewissern, dass die Konstruktion der Brücke keine sichtbaren Mängel aufwies. Das war wichtig, wenn Walter Scotts Ableben wie ein Unfall aussehen sollte.
    Die letzte Stunde hatten der Vermummte und seine Leute daran gearbeitet, die Brücke so zu bearbeiten, dass sie bei Belastung nachgeben würde. Wegen der filigranen Statik der Konstruktion war das nicht weiter schwierig. Gaben nur wenige der Balken nach, die die Brücke trugen, stürzte das ganze Gebilde in die Tiefe – und mit ihm alles, was sich darauf befand.
    Scott hatte einen schwer wiegenden Fehler begangen. Mit seinen Nachforschungen und seiner Neugier hatte er dafür gesorgt, dass sich mächtige Menschen bedroht fühlten. Der Maskierte war damit beauftragt worden, diese Bedrohung aus der Welt zu schaffen, endgültig und auf eine Art und Weise, die keinerlei Verdacht erregte.
    Eine einstürzende Brücke würde zweifellos viele Fragen aufwerfen, möglicherweise würde ein neuer Disput zwischen den Landlords und der Regierung entbrennen, die sich gegenseitig die Schuld an dem Unglück zuschieben würden. Über dem Ganzen würde niemand mehr Fragen nach dem Tod von Walter Scott stellen – genau wie jene es wünschten, die den Mann mit der Maske bezahlt hatten.
    Die Augen des Reiters verengten sich, als von Südosten der Hufschlag von Pferden und das Rasseln eines Geschirrs zu vernehmen waren, die der Wind herübertrug. Fast gleichzeitig erklang der Schrei eines Eichelhähers – das vereinbarte Signal.
    Die Faust des Maskierten ballte sich in einer Geste des Triumphs. Scott und sein Neffe hatten keine Chance, sie ahnten nicht, dass sie auf eine tödliche Falle zurasten. Wenn die Brücke nachgab, würden sie entweder von den Trümmern erschlagen werden oder in den Fluten des Flusses ertrinken, der um diese Jahreszeit viel Wasser führte.
    Hatte Scott nicht einmal gesagt, dass er einst mit Blick auf seinen geliebten Tweed sterben wolle? Das Gesicht unter der Maske verzog sich zu einem Grinsen. Zumindest dieser Wunsch würde ihm erfüllt werden.
    Der Reiter wandte den Blick nach Süden auf die Straßenkreuzung; er erwartete, jeden Augenblick Scotts Kutsche zwischen den Hügeln auftauchen zu sehen. Er war sich seiner Sache so sicher, dass er in Gedanken schon die Geldstücke zählte, die man ihm für den Mord versprochen hatte – als sich von einem Moment auf den anderen alles änderte.
    Während abermals der Schrei des Hähers erklang, diesmal schriller und gleich zweimal hintereinander, tauchte an der Kreuzung tatsächlich eine Kutsche auf – aber sie kam nicht über die Straße von Kelso herbei, sondern von Jedburgh herauf, und sie würde noch vor Scotts Droschke die Brücke erreichen.
    Der Maskierte stieß eine bittere Verwünschung aus, die seine niedere Herkunft verriet. Hatte er seine Leute, die er unterhalb der Kreuzung aufgestellt

Weitere Kostenlose Bücher