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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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hatte, nicht angewiesen, darauf zu achten, dass keine andere Kutsche die Straße passierte?
    Die Blicke des gedungenen Mörders flogen gehetzt zwischen der Brücke und der Kreuzung hin und her. Kein Zweifel – die fremde Kutsche würde die Schlucht vor Scott erreichen, und die Insassen würden statt seiner in die Tiefe stürzen. Dafür würden die Auftraggeber ihn nicht bezahlen …
    Der Mann auf dem Pferd verfiel in Panik. Rasch sprang er aus dem Sattel, eilte unter den tief hängenden Ästen der Eschen hindurch, und obwohl er riskierte, gesehen zu werden, gab er jenen ein Zeichen, die sich unten zu beiden Seiten der Straße im Gebüsch verbargen. Heftig gestikulierend deutete er in die Richtung, aus der in wenigen Augenblicken die andere Kutsche auftauchen würde.
    Ein gehetzter Blick zurück zur Kreuzung sagte ihm, dass die fremde Droschke die Straße von Kelso passiert hatte und jetzt geradewegs auf die Brücke zuhielt. Es war ein Zweispänner. Ein einzelner Kutscher saß auf dem Bock, und an den Koffern, mit denen das Gefährt beladen war, erkannte der Maskierte, dass es sich um Reisende handeln musste, möglicherweise Briten aus dem Süden. Ein weiterer herber Fluch kam ihm über die Lippen. Wenn bei dem Unglück Briten ihr Leben ließen, würde die Sache für ungleich mehr Aufsehen sorgen als bei einem Schotten.
    Im nächsten Moment sah der Anführer der Mordbande seine eigenen Leute die Straße von Jedburgh heraufkommen – sechs Mann, die auf ihren Pferden saßen und ritten, als wäre eine Schwadron Dragoner hinter ihnen her. Offenbar waren sie unaufmerksam gewesen und hatten die Kutsche durchschlüpfen lassen – jetzt jagten sie hinter ihr her und versuchten sie einzuholen.
    Vielleicht, dachte der Maskierte, war doch noch nicht alles verloren.
    Mary of Egton stand nach wie vor unter dem Eindruck der grausigen Ereignisse, die sich in Jedburgh zugetragen hatten. Die Bilder der Männer, die leblos am Galgen hingen, wollten ihr nicht aus dem Kopf gehen, und sie fragte sich einmal mehr, was der alte Mann aus dem Gasthaus und seine Kameraden verbrochen haben mochten, dass man sie standrechtlich auf dem Dorfplatz gehenkt hatte.
    In dem rauen Land jenseits der Grenze, so sagte sie sich, herrschten andere Gesetze als zu Hause. Noch nie zuvor hatte Mary einen Menschen gesehen, der am Galgen hing, und die schrecklichen Eindrücke verfolgten sie – anders als Kitty, deren argloses Wesen ihr auch über unangenehme Dinge rasch hinweghalf.
    »Was ist, Mylady?«, fragte sie lächelnd. »Grämen Sie sich noch immer wegen dieser Männer?«
    Mary nickte. »Es will mir nicht aus dem Kopf. Ich kann nicht verstehen, weshalb man sie hingerichtet hat.«
    »Ich weiß es auch nicht, Mylady. Aber ich bin sicher, dass es gute Gründe dafür gab. Möglicherweise waren es gesuchte Verbrecher. Vielleicht« – sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund – »war der seltsame Kauz, der sich in der Gastwirtschaft neulich abends zu Ihnen gesellte, gar ein Mörder, und Sie sind nur um Haaresbreite dem Tod entgangen!«
    »Vielleicht«, räumte Mary nachdenklich ein. »Die Sache ist nur – dieser Mann sah nicht aus wie ein Mörder.«
    »Das tun Mörder nie, Mylady«, entgegnete die Zofe mit entwaffnender Logik. »Sonst würde man sie auf den ersten Blick erkennen, und es gäbe keine Morde mehr.«
    »Zugegeben«, sagte Mary und musste lächeln. Kittys naives Gemüt half ihr ein wenig über die Schwermut hinweg, die auf ihr lastete. »Aber ich habe in die Augen dieses alten Schotten geblickt, und was ich dort gesehen habe …«
    Ein spitzer Schrei aus Kittys Mund unterbrach sie. Durch die Kutsche ging ein heftiger Ruck. Mary fühlte, wie sie in den mit dunklem Samt bezogenen Sitz gepresst wurde; sie hörte die donnernden Hufe der Pferde, dazu den Knall von Winstons Peitsche.
    »Was soll das?«, fragte Kitty entsetzt.
    Mary schüttelte den Kopf. Obwohl die Kutsche heftig wankte und über die Schlaglöcher sprang, die die Straße übersäten, erhob sie sich von ihrem Sitz und hangelte sich zum Fenster, zog die Scheibe herab und warf einen Blick hinaus.
    Ein Stück voraus konnte sie eine Brücke sehen, auf die die Kutsche in hoher Geschwindigkeit zuraste – ein Blick zurück zeigte ihr sechs Reiter, die auf fliegenden Hufen hinter ihnen herjagten. Die Männer trugen schäbige Kleidung und weite Umhänge, die ihre hageren Gestalten umflatterten, dazu breitkrempige Hüte und Masken vor den Gesichtern.
    Die Erkenntnis traf Mary wie

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