Die Bruderschaft der Runen
könnte.«
»Das stimmt. Aber schon so bald?«
»Mir ist nicht bekannt, dass Mordbrenner sich nach einem bestimmten Zeitplan richten«, versetzte Sir Walter bitter. »Alles deutet daraufhin, dass der Überfall ein sorgfältig vorbereiteter Hinterhalt und der Einsturz der Brücke kein Zufall war. Es war nur nicht vorgesehen, dass Lady Marys Kutsche vor uns die Brücke befuhr. Sie und ihre Bediensteten waren lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort. Wären wir nur wenige Augenblicke früher an der Kreuzung eingetroffen, wären wir es gewesen, unter denen die Brücke zusammengebrochen wäre.«
Quentin stand wie vom Donner gerührt.
Sein Gesicht war noch blasser geworden, namenloser Schrecken zeichnete sich darauf ab. Dann wurden seine Knie weich, und er ließ sich auf einen der ledernen Sessel sinken, die vor dem Kamin standen. Gedankenverloren starrte er in die Flammen.
»Der Anschlag hat uns gegolten«, sagte er immer wieder. »Nur einem Zufall haben wir es zu verdanken, dass wir noch am Leben sind.«
»So sehe ich das auch, mein Junge«, stimmte Sir Walter grimmig zu. »Offenbar sind unsere Gegner tatsächlich mächtiger und gefährlicher, als wir es bislang vermutet haben. Ich hatte angenommen, dass Dellard absichtlich übertreibt, um uns von den Ermittlungen fern zu halten und freie Hand zu haben. Aber so, wie die Dinge sich nun darstellen, habe ich mich wohl geirrt. Wir befinden uns tatsächlich in großer Gefahr.«
»Was werden wir nun tun?«, fragte Quentin. Seine Stimme hörte sich elend an.
»Wir werden Dellard über unsere Schlussfolgerungen in Kenntnis setzen und ihm begreiflich machen, dass dieser Vorfall sehr wohl in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Denn wenn der Fall Slocombe überlassen bleibt, werden die einzigen Erfolge, die wir am Ende vorzuweisen haben, ein paar leere Scotchflaschen sein. Aber zunächst sollten wir uns um unsere Gäste kümmern, wie es sich für zivilisierte Menschen gehört. Lady Mary und ihrer Zofe soll es hier in Abbotsford an nichts fehlen.«
»Ich verstehe, Onkel.«
»Und – Quentin?«
»Ja, Onkel?«
»Kein Wort von dem, was hier gesprochen wurde, zu Lady Charlotte. Meine Frau hat ohnehin genügend Sorgen, und der Verlust von Jonathan hat sie schwer getroffen. Ich möchte sie nicht unnötig beunruhigen.«
»Unnötig, Onkel? Eine Bande von Mördern hat uns aufgelauert. Ein Mensch fand den Tod, zwei Damen wären um ein Haar ums Leben gekommen. Das nennst du unnötig?«
Sir Walter widersprach nicht, und in seinen Augen konnte Quentin lesen, dass er ebenso dachte wie er.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe, Neffe«, beharrte er dennoch. »Ich wünsche nicht, dass Lady Charlotte oder irgendjemand sonst im Haus von den Dingen erfährt, die wir besprochen haben.«
»Wie du willst, Onkel.«
»Gut«, sagte Sir Walter und nickte, wobei ihn eine Ahnung überkam, dass diese Angelegenheit nicht dadurch bereinigt werden konnte, indem man sie leugnete.
Gegen Abend hatte sich Mary of Egton bereits so weit erholt, dass der Doktor ihr gestattete, das Bett zu verlassen. Auch ihre Zofe Kitty war wieder vollständig genesen – wenngleich die Baldrianextrakte, die Kerr ihr verabreicht hatte, ihr vorlautes Wesen noch ein wenig dämpften.
Lady Charlotte hatte es sich nicht nehmen lassen, sich persönlich um die beiden Damen zu kümmern und sie im Haus und in den Gärten herumzuführen.
Der überraschende Tod Jonathans hatte Sir Walters Gattin hart getroffen und eine seltsame Leere in ihr hinterlassen. Da es ihr nicht vergönnt gewesen war, eigene Kinder zu bekommen, nahm sie sich aller Studenten, die Scott zu sich nach Abbotsford holte, mit geradezu mütterlicher Sorgfalt an – und die jungen Menschen, die hier ein und aus gingen, achteten und ehrten Lady Charlotte. Wenn Sir Walter der Kopf des Hauses war, so pflegten sie zu sagen, war seine Gattin das Herz. Sir Walter selbst ließ immer wieder verlauten, dass sein großzügiges Heim nur eine Ansammlung lebloser Steine wäre, würde Lady Charlotte es nicht mit Leben füllen, und dies entsprach in jeder denkbaren Hinsicht der Wahrheit.
Die Lady – eine Dame mittleren Alters, deren schlanker Wuchs und scharf gezeichnete Züge von einer ruhigen, vornehmen Schönheit waren – kümmerte sich um die Verwaltung des Anwesens. Ihr unterstanden das Hausgesinde und die Gärtner, der Kutscher und der Stallknecht. Unterstützt wurde sie dabei vom treuen Mortimer, der schon seit vielen Jahren in den Diensten der Familie
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