Die Bruderschaft des Feuers
Entgegenkommen erwidern, indem Ihr mich mit meinem Titel ansprecht.«
»Und der wäre?«, fragte der Podestà.
»Magister. Was kann ich für Euch tun?«
»Ihr müsst mit mir kommen. Sofort«, erklärte der Podestà. Dann, als er sah, dass Mondino unbeeindruckt stehen blieb, fügte er widerstrebend hinzu: »Magister.«
»Warum?«
»Jemand ist auf schreckliche und unerklärliche Weise ums Leben gekommen«, bekam er zur Antwort. »Eure Fähigkeiten werden benötigt.«
Die beiden Adjektive schrecklich und unerklärlich hatten eine erschütternde Wirkung auf den Arzt. Vor Mondinos geistigem Auge zogen noch einmal die dramatischen Ereignisse des vergangenen Frühlings vorbei. Damals hätte er beinahe alles verloren, die Medizinschule, seine Familie und sogar das eigene Leben, weil er sich in etwas hatte verwickeln lassen, das sich hinter einem schrecklichen und unerklärlichen Todesfall verbarg. Und er hatte nicht die geringste Absicht, diesen Fehler zu wiederholen.
»Es tut mir leid«, sagte er unmissverständlich. »Als Arzt heile ich die Lebenden. Ein Toter braucht meine Fähigkeiten nicht.«
Der Podestà verlor jetzt vollends die Geduld. »Eine Weigerung, sich in den Dienst der Stadt zu stellen, wenn diese ihn braucht, ist Verrat«, sagte er. Er trat beiseite und winkte die Häscher hinter sich herbei, ohne sich umzuwenden. Mondino ließ er nicht einen Moment aus den Augen. »Wenn Ihr nicht sofort mit mir kommt, lasse ich Euch verhaften.«
Sofort nach dem Gottesdienst kam Samuele da Roccastrada als Erster zum Refektorium des Klosters, um den Vormittagsimbiss einzunehmen. Er wartete auf der Schwelle, während die Brüder stumm den Raum betraten und ihn mit einem Kopfnicken grüßten. Samuele musste nicht erst die Gesichter unter den Kapuzen ihrer Franziskanerkutten sehen, um sie zu erkennen. Er war ein guter Beobachter und konnte einen Menschen an der Form seiner Schultern, dem Geräusch seiner Schritte oder der Art, wie er die Hände im Schoß verschränkte, erkennen. Vielleicht war das gar keine natürliche Begabung, hatte er oft gedacht, sondern nur der Instinkt eines gehetzten Tieres, den er in jahrelanger Heimlichtuerei entwickelt hatte. Menschen wie er lernten früh, alles und jeden im Auge zu behalten, um nicht entdeckt zu werden.
Er war ins Kloster gegangen, um seine Abartigkeit zu bekämpfen, und es war ihm drei ganze Jahre gelungen, die nur aus Disziplin und Bußübungen bestanden hatten. Dann hatte er Venanzio kennengelernt, und er war machtlos gewesen.
Inzwischen hatten sich alle Brüder außer ihm an den Tischen im Refektorium versammelt. Samuele reckte den Hals, um den Gang einsehen zu können, aber dort war niemand mehr. Während der Messe hatte Venanzio nervös gewirkt, er hatte mehrmals zum Portal der Basilika gesehen und danach zu dem milchigen Licht aufgeschaut, das durch die Glasfenster hereinfiel, als wollte er feststellen, wie weit der Tag schon fortgeschritten war.
So verhielt sich jemand, der nicht zu spät zu einer Verabredung kommen wollte.
Getrieben von einer Angst, die an Wut grenzte, lief Samuele zum Ausgang des Klosters. Zu dieser Zeit hielt sich selbst der Bruder Pförtner im Refektorium auf, das musste Venanzio gewusst haben, wenn er das Kloster unerlaubt verlassen wollte.
Als er dann sah, wie Venanzio zur Tür hinausschlüpfte, beschleunigte er seinen Schritt, sodass die Sohlen seiner Sandalen laut auf dem Terrakottaboden aufklatschten. »Venanzio!«, rief er den anderen keuchend, ohne sich darum zu kümmern, ob jemand ihn hören konnte.
Als er unvermittelt draußen im grauen Tageslicht stand, kniff er die Augen zusammen. Die Sonne hatte sich zwar hinter dichten dunklen Wolken verborgen, doch so erging es ihm jedes Mal, wenn er das Halbdunkel des Klosters verließ.
Er sah sich um: Auf der gegenüberliegenden Seite des gepflasterten Platzes unter dem Torbogen der Porta Nova herrschte das übliche Treiben von Fußgängern und Karren, doch bis dorthin konnte Venanzio noch nicht vorgedrungen sein. Samuele wandte sich nach links zu der niedrigen Mauer, die den Friedhof der Basilika San Francesco vom Platz abgrenzte, und dort entdeckte er ihn. Er war stehen geblieben und wartete zum Schutz vor neugierigen Blicken in einer Mauernische auf ihn. Venanzio war schön wie immer, mit seinem braunen Bart und dem Kopf eines römischen Legionärs, dessen männliche Züge nicht einmal die Tonsur schmälern konnte, außerdem war er stark wie ein Baum. Doch in seinem Blick vermisste Samuele
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