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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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das übliche nachsichtige Lächeln.
    »Du musst mich ›Pater‹ Venanzio nennen«, fuhr er ihn kalt an, sobald sich der andere genähert hatte.
    »Warum hast du heimlich das Kloster verlassen?«, fragte Samuele, ohne darauf einzugehen. Sein Atem bildete beim Verlassen des Mundes kleine Wölkchen, und die Luft roch nach Schnee, doch er spürte die Kälte nicht, denn in seiner Brust tobte ein quälendes Feuer.
    »Ich schulde dir keine Rechenschaft über das, was ich tue.«
    »Wenn du es mir nicht sagst, gehe ich zum Pater Guardian und erzähle ihm, dass ich gesehen habe, wie du dich hinausgeschlichen hast. Zu wem willst du?«
    Venanzio seufzte verärgert. »Bezähme deine Eifersucht, ›Bruder‹ Samuele. Deswegen musst du dir keine Sorgen machen. Aber das, was wir tun, ist eine Todsünde, bist du dir dessen eigentlich bewusst?«
    Samuele nickte, doch er hielt seinem Blick stand. »Für dich lohnt es sich, vielleicht in der Hölle zu brennen«, sagte er leise.
    Bei diesen Worten schien Venanzios Blick milder zu werden, doch seine Miene blieb ernst. »Ja, auch für dich«, gab er zu. »Aber es geht nicht nur um uns. Wir haben aus freien Stücken das Gelübde abgelegt. Wenn es uns nicht gelingt, unsere Gefühle zu beherrschen, wie können wir da anderen Menschen helfen, ihnen nicht zu erliegen?«
    Dieses Gespräch führten sie nicht zum ersten Mal, und bislang hatte es immer genügt, wenn Samuele sich dem Mitbruder näherte und sich an seine Brust drückte, damit Venanzios Widerstand zerbrach wie dünnes Eis. Doch diesmal wich Venanzio zurück, als er einen Schritt auf ihn zumachte. Da wurde Samuele von Schmerz und Angst derart überwältigt, dass er schwankte. Doch Venanzio hielt selbst jetzt an seinem Entschluss fest, obwohl seine Augen sich mit Tränen füllten.
    »Hör mir zu, Samuele«, sagte er sanft. »Wir reden darüber in aller Ruhe, wenn ich zurück bin. Aber jetzt muss ich gehen.«
    »Ich bitte dich, sag mir wenigstens, wohin du gehst.«
    Mit seinem Flehen erreichte Samuele, was ihm mit Drohungen nicht gelungen war. Und auch aus diesem Grund liebte er den anderen. Venanzio wandte den Blick ab, als würde er an der Klostermauer nach den richtigen Worten suchen. »Gestern in der Beichte habe ich etwas Furchtbares erfahren«, erklärte er. »Jemand will in der Weihnachtsnacht die Stadt niederbrennen. Eine Wahnsinnstat, die Tausende unschuldige Menschen das Leben kosten kann. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und den Herrn gefragt, ob es in einem solchen Fall richtig ist, das Beichtgeheimnis zu verletzen. Und heute Morgen habe ich die Antwort auf meine Gebete bekommen: einen Brief.«
    »Einen Brief? Und von wem?«
    Venanzio zuckte mit den Schultern. »Er enthielt keinen Namen. Darin stand nur, derjenige, dem ich gestern die Beichte abgenommen habe, hätte mich als äußerst vertrauenswürdigen Priester beschrieben und dass auch er seine Seele erleichtern wolle.«
    »Und warum kommt er dann nicht hierher? Ist es vielleicht ein Edelmann, der gewöhnt ist, dass man ihm auch bei seinen spirituellen Bedürfnissen zu Diensten eilt?«
    »Er kommt nicht her, weil er sich in Gefahr befindet«, erwiderte Venanzio. »Der Mann hat mich gebeten, ins Pratelloviertel zu kommen, an die Ecke zur Via Pietralata, wo er sich seit Tagen versteckt.«
    »In der Via Pietralata! Mitten unter den Dirnen …«
    Auf Venanzios Gesicht erschien ein bitteres Lächeln. »Keine Sorge, ich laufe keine Gefahr, diesen Verlockungen zu erliegen. In Wahrheit bin ich schon öfter dort gewesen, um diesen Frauen die Beichte abzunehmen. Die unglücklichen Seelen vertrauen mir, weil ich nie versucht habe, sie zu missbrauchen, wie es anscheinend viele andere Geistliche tun.«
    »Sie halten dich bestimmt für einen Heiligen«, sagte Samuele in dem Versuch, die angespannte Atmosphäre aufzulockern, aber als er Venanzios Blick auffing, bereute er das sofort.
    »Mach dich nicht darüber lustig«, sagte der Priester düster. »Ich bin für alle Ewigkeit verdammt, weil ich nie den Mut gefunden habe, in der Beichte über unsere Sünde zu sprechen. An diese Orte der Verderbnis zu gehen und Gottes Wort dorthin zu bringen, ist ein Weg, um wenigstens einen Teil meiner Schuld zu büßen.«
    Samuele war nicht entgangen, dass der andere zuerst »unsere Sünde« gesagt hatte. Er wusste sehr wohl, dass Venanzio mutig genug war, sich den eigenen Verfehlungen zu stellen. Wenn er sie noch nicht gebeichtet hatte, dann nur, weil er fürchtete, ihn in Schwierigkeiten zu

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