Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
»Ihr habt die zweite Weihe und eure Gnadengaben als Gralsritter erhalten.« Gerolt war, als erwachte er aus einer Art von Betäubung. Er fühlte sich schwach auf den Beinen, als er sich erhob. Und er sah, dass es Tarik, Maurice und McIvor offenbar auch nicht anders erging. Verstört sahen sie einander an. »Was . . .«, begann Maurice und brach augenblicklich ab. Er musste sich erst räuspern, bis ihm seine belegte, krächzige Stimme wieder gehorchte. »Was genau hat das jetzt zu bedeuten? Ich meine, wie sollen Felsen und Gestein mir weichen, wenn sie mir den Weg versperren?« Abbé Villard lächelte nachsichtig. »Komm an den Altar!« Maurice stieg die drei Stufen zu ihm hoch. »Und jetzt?« »Jetzt strecke deine Hand aus und schiebe die Fingerspitzen in den Marmor!« »Wie bitte?«, stieß Maurice verdutzt hervor. »Konzentriere deinen Willen und deine Kraft darauf, den Stein mit deiner Hand zu durchdringen!«, wies Abbé Villard ihn an. »Es muss jedoch dein fester Wille sein, dass der Marmor vor deinen Fingern weichen und dir Einlass gewähren soll. Und du wirst merken, dass du dafür Kraft aufwenden musst. Kraft, die in deinen Willen fließt, um das nur scheinbar Unmögliche zu vollbringen. Dann und nur dann wird es dir auch gelingen. Und nun versuche, Gebrauch von deiner Gnadengabe zu machen!« Mit angehaltenem Atem beobachteten Gerolt, Tarik und McIvor, wie Maurice sich einen Moment sammelte, dann die Fingerspitzen gegen den harten Marmor drückte – und mit ihnen plötzlich bis über die Nägel in den Stein eindrang! Doch schon im nächsten Moment wurden seine Finger von einer unsichtbaren Kraft zurückgestoßen und erschrocken sprang er hastig einen Schritt zurück. »Allmächtiger!«, stieß Maurice hervor und rieb sich über die Fingerkuppen, als hätte er einen schmerzhaften Schlag erhalten. »Ich war tatsächlich ein Stück im Marmor! Unglaublich! Aber... aber was ist dann geschehen?« »Wille und Konzentration waren nicht stark genug, um dem Stein länger als diesen kurzen Moment zu widerstehen«, erklärte Abbé Villard. »Du musst erst noch lernen, mit deiner neuen Begabung umzugehen und deine innere Kraft so zu konzentrieren, dass deine Gnadengabe ihre ganze Macht entfalten kann. Und das gilt für jeden von euch. Eure besonderen Kräfte brauchen Zeit, um zu wachsen und auch große Bewährungsproben zu bestehen.« »Heißt das, dass ich eines Tages meinen ganzen Arm in irgendeinen Fels oder eine Mauer stecken kann?«, fragte Maurice ungläubig. »Du wirst nicht nur einen Arm hineinstecken können, sondern mit dem ganzen Körper durch eine Mauer oder eine Felswand hindurchgehen können, solange du den Atem hast sowie die Kraft und den Willen dazu aufbringen kannst«, eröffnete ihm der alte Gralshüter. »Und je größer deine Kraft und deine Konzentration sind, desto tiefer können Fels und Mauerwerk sein, die du dann zu überwinden vermagst. Und nicht anders verhält es sich mit den Gaben, die Gerolt, Tarik und McIvor erhalten haben. Tarik wird eines Tages für lange Zeit wie ein Fisch im Meer schwimmen können, ohne zum Atemholen an die Oberfläche zurückzumüssen, oder Wasser unter seinem Willen zu Eis gefrieren lassen. McIvor wird in der Lage sein, lange Zeit dem schrecklichsten Feuer zu widerstehen, ohne sich Verbrennungen zuzuziehen, oder es zu entfachen, und Gerolt wird Gewichte von der Stelle bewe gen und in die Luft erheben oder zum Stillstand bringen können, die mehr wiegen als ihr alle zusammen.« Sie waren sprachlos. »Ihr werdet lernen, dass Gott die Welt aus einem besonderen Stoff erschaffen hat, der vielfältige Formen annehmen kann. Feinster Sand und härtester Fels etwa sind letztlich ein und dasselbe, sie sind nur anders zusammengefügt. Und Maurice wird die Kräfte, die sie in der Gestalt von Gestein zusammenhalten, lösen und sich darin bewegen können. Ähnlich wird es Gerolt, Tarik und McIvor in den ihnen eigenen Elementen ergehen. Aber noch seid ihr weit davon entfernt. Und ihr seid gut beraten, eure Kräfte zu keiner Zeit zu überschätzen oder euch gar für allmächtig zu halten, denn das seid ihr nicht! Wie die Meister der Bruderschaft vor mir, so habe ich gut zweihundert Jahre gebraucht, um all diese göttlichen Kräfte zusammen zu beherrschen. Und dennoch gelange auch ich schnell an die Grenzen von Kraft und Konzentration, wenn ich sie mit geballter Stärke einsetze, wie etwa in jener Nacht, als ich euch vor den Mauern der Stadt vor den Sarazenen gerettet habe. Ihr
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