Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
wäre ihr erst jetzt zu Bewusstsein gekommen, welch einem entsetzlichen Schicksal sie, ihr Vater und ihre kleine Schwester nur ganz knapp entronnen waren. Bereitwillig ließ sie sich zu einem großen Liegediwan führen und streckte sich darauf aus.
Während Maurice sich im Küchenraum um die Platzwunde des Kaufmannes kümmerte, beklagte dieser sein Schicksal, das ihm vor wenigen Wochen die geliebte Mutter seiner Töchter geraubt hatte. Blutarmut hatte seine Frau dahingerafft und nun hielt ihn nichts mehr in Akkon. Noch an diesem Tag wollte er sich auf einer Handelsgaleere einschiffen und mit seinen Töchtern nach Frankreich zurückkehren. Gerolt entschuldigte sich schon bald, weil er ein dringendes Bedürfnis nach Erleichterung verspürte. Er ließ sich von Heloise den Weg zum Abort weisen, der sich im Hinterhof befand. Dort begutachtete er auch seine Verletzung, die sich jedoch als harmlose Schnittwunde herausstellte. Die gegnerische Klinge hatte seine Bauchdecke nur ganz leicht aufgeritzt, sodass nicht einmal ein Verband notwendig war. Auch das Schreiben des Großmeisters hatte im Kampf keinen Schaden genommen. Wenig später kehrte er kurz zu Maurice und den Granvilles ins Haus zurück, wünschte dem Kaufmann und seinen Töchtern alles Gute und drängte dann zur Eile. Als sie auf den vorderen Hof hinaustraten, war der Levantiner schon dabei, die zweite Leiche über die Gasse und auf das benachbarte Trümmergrundstück zu zerren. Er würde Diener des Stadtmagistrats von dem Überfall und den beiden Leichnamen unterrichten, damit diese für die Verscharrung in einem der Massengräber in Montmusard sorgten. »Was hältst du von einem gemeinsamen kleinen Umtrunk, Bruder?«, rief Maurice ihm aufgekratzt zu. Tarik el-Kharim machte ob dieser unverhofften Einladung ein genauso verdutztes Gesicht wie Gerolt. »Hätte nichts dagegen einzuwenden, großer Schlachtenkämpfer!«, rief er zurück. »Dann komm gleich, wenn du hier fertig bist, in Alexios’ Wein schenke!«, forderte Maurice ihn auf. »Du weißt, wo der Grieche seine Taverne hat?« Tarik el-Kharim nickte. »Ja, am inneren Hafen gleich zu Beginn der Mole, die hinaus zum Turm der Fliegen führt!« »Also dann bis gleich!« Maurice winkte ihm zu und eilte hinaus auf die Gasse. Diesmal war es Gerolt, der ihn einholen musste. Und sofort fragte er: »Sag mal, was soll denn das mit dem gemeinsamen Umtrunk bei Alexios?« Maurice grinste ihn an. »Was dagegen?« »Nein, nicht im Geringsten«, gab Gerolt zu. Zwar gehörte er nicht zu jenen Ordensbrüdern, deren Trinkfestigkeit dazu geführt hatte, dass es überall in der Bevölkerung für einen wüsten Zecher schon das geflügelte Wort gab, er könne »saufen wie ein Templer«. Doch gegen einen ordentlichen Schluck dann und wann hatte auch er nichts einzuwenden. »Aber wovon willst du das denn bezahlen? Alexios ist bekannt dafür, dass er nur beste, ungepanschte Weine ausschenkt, und dementsprechend teuer ist er auch. Und wir können doch noch nicht einmal das gestreckte Zeug in einer billigen Panschbude bezahlen!« Denn Tempelritter waren mittellos, hatten sie bei ihrem Eintritt in den Orden doch nicht nur Gehorsam und Keuschheit gelobt, sondern auch Armut. Nun grinste Maurice noch breiter. »Wir werden den guten Wein hiervon bezahlen, werter Bruder in Christo!«, antwortete er ihm vergnügt und zog einen prall gefüllten Geldbeutel hervor. »Der Dicke hat mir die Geldbörse geradezu aufgedrängt. Was sollte ich da tun? Ich brachte es einfach nicht übers Herz, ihm die Freude des großzügigen Geschenks zu verderben.« »Aber das ist uns verboten!«, wandte Gerolt bestürzt ein. »Nun mal ganz langsam mit den Pferden, mein Bester! Es ist sehr wohl erlaubt, Geschenke für die Gemeinschaft anzunehmen«, widersprach Maurice. »Wie sonst, glaubst du, wäre unser Orden zu solch ungeheurem Reichtum gelangt, der sogar den der mächtigsten Könige und Päpste übersteigt? Und sind wir drei denn etwa keine Gemeinschaft? Außerdem hindert uns ja nichts daran, dass wir das Geld bis auf die unbedeutende Kleinigkeit, die uns die Zeche bei Alexios kostet, nachher bei unseren Ordensoberen abliefern.« Die Spitzfindigkeit des Franzosen machte Gerolt sprachlos. Und er wusste nicht, ob er schimpfen oder lachen sollte. »Mach nicht so ein verdattertes Gesicht, Gerolt von Weißenfels, und sei nicht päpstlicher als der Papst. Den Umtrunk haben wir uns allemal verdient und den werden wir uns auch gönnen!«, sagte Maurice entschlossen.
Weitere Kostenlose Bücher