Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
»Außerdem brenne ich darauf zu erfahren, wie dieser levantinische Bursche zu seinem Templermantel gekommen ist!«
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Am Hafen, in dessen Rücken die Eisenburg mit ihrem wuchtigen, vierkantigen Festungsturm wie eine steinerne Drohung hoch in den Himmel aufstieg, gab es kaum ein Durchkommen. Hunderte Menschen und fast ebenso viele Pferdewagen, Ochsengespanne und Handkarren strömten aus den umliegenden Straßen und Gassen, kamen auf dem hufeisenförmigen Vorplatz zusammen und erstarrten dort zu einer sich nur noch zäh bewegenden Masse. Zu den Bewohnern, die Akkon mit einem möglichst großen Teil ihres Hab und Gut verlassen wollten, gesellten sich noch etliche Lastenträger und Händler, die dringend benötigte Lebensmittel von einer gerade erst eingelaufenen Handelsgaleere zu entladen und in die Stadt zu bringen versuchten, während gleich daneben die Mannschaft eines kurz vor dem Auslaufen stehenden Schiffes ungeduldig darauf wartete, Dutzende Fässer mit Frischwasser an Bord nehmen und dann endlich die Leinen loswerfen zu können. Es herrschte rund um den Hafen ein fürchterliches Durcheinander, das von entsprechendem Lärm begleitet wurde. Die Leute rempelten, drängten und behinderten sich gegenseitig im Vorwärtskommen. Flüche und Drohungen flogen durch die Luft. Die Fuhrleute ließen ihre Peitschen knallen, ohne jedoch viel damit zu erreichen. Man warf sich üble Verwünschungen zu, drohte sich mit Fäusten und Kinder weinten. »Was für ein wüstes Durcheinander!«, stöhnte Gerolt, als er sich mit Maurice durch die Menge zur Mole kämpfte, die am südlichs ten Punkt der Hafenanlage als Schutzwall zum Meer angelegt worden war. Sie erstreckte sich fast dreihundert Schritte weit ins Wasser hinaus und endete in einem mächtigen, wehrhaften Rundturm, der »Turm der Fliegen« hieß und die Hafeneinfahrt bewachte. »Und dabei ist es ja vorläufig bloß ein kleiner Teil der Bevölkerung, der die Stadt verlässt!«, erwiderte Maurice. »Kannst du dir vorstellen, was hier erst für ein Chaos herrschen wird, wenn der Auszug richtig beginnt... etwa wenn die Mamelucken irgendwo eine Bre sche in die Mauern schlagen und in die Stadt eindringen?« »Nein, lieber nicht«, gestand Gerolt. Maurice gab ein bitteres Auflachen von sich. »Dann wird es ein Hauen und Stechen geben und hier nicht viel anders als auf einem Schlachtfeld zugehen!«, prophezeite er düster. Die schnelle Templergaleere Panagia wurde nicht weniger heftig von Flüchtenden belagert als all die anderen Schiffe, die im Hafen lagen. Überall wurde lautstark um Passagen und Frachtraten ge feilscht und gestritten, denn die Nachfrage überstieg das Angebot bei Weitem. Nicht jeder würde mitkommen können. Das trieb die Preise nach oben und sorgte für manchen Wutausbruch. Die Kapitäne und Schiffseigner machten in diesen Tagen das Geschäft ihres Lebens. Besonders die zyprischen, die zwischen der belagerten Stadt und den Häfen Famagusta und Limassol auf Zypern hin-und herpendelten und bei guten Winden pro Strecke meist nicht mehr als zwei Tage brauchten. Aber es gab auch eh renhafte Kapitäne, die ihre Zusagen aus jener Zeit einhielten, als Akkon noch nicht unter Belagerung gelegen hatte. Der gedrungene Quartiermeister der Panagia blockierte zusam men mit vier muskulösen Seeleuten, die ihn um Kopfeslänge überragten und mit Prügeln bewehrt waren, die breite Laufplanke, die vom Kai auf die Templergaleere führte. Sowie er Gerolt und Maurice kommen sah, unterbrach er seine Verhandlungen mit einem herausgeputzten Kaufmann, der sich offensichtlich sehr wichtig vorkam. »Tempelritter! Macht den Weg frei für die Männer, die auch im Angesicht einer Übermacht von Ungläubigen nicht angstschlotternd davonrennen und sich auf das nächste Schiff flüchten!«, brüllte er voller Verachtung für die ihn umdrängende Menge und bedeutete den raubeinigen Seeleuten an seiner Seite, notfalls mit ihren Prügeln nachzuhelfen, wenn die Leute nicht augenblicklich eine Gasse für die beiden Tempelritter frei machten. »Los, bewegt euch! Oder es setzt Hiebe! Macht Platz für die tapferen Männern von Akkon, die wahrhaftig in Gott vertrauen, ausharren und nicht von der Stelle weichen, während alle anderen schon längst wie die Hasenfüße die Flucht ergreifen und nur an ihr eigenes Leben und ihren Plunder denken!« Die Menschenmenge auf dem Kaiende teilte sich vor Gerolt und Maurice wie das Rote Meer vor Moses bei seiner Flucht aus Ägypten. Beide dachten sie dasselbe,
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