Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
diesem Moment wirklich in ihm aussah. Seiner spontanen Bereitschaft, sich zur Ehre des Templerordens den Gesandten des Königs anzuschließen, war erst nachträglich die Erkenntnis gefolgt, dass er den Ritt ins Lager des Sultans womöglich nicht überleben würde. In der Vergangenheit hatte schon so manche Abordnung mitten im Krieg ihren Mut mit dem Leben bezahlt oder war für immer in den Kerkern des Feindes verschwunden. Und so wusste auch jetzt niemand vorherzusagen, wie der Mameluckenherrscher auf die Gesandten des Königs und des Templergroßmeisters reagieren würde. Kein Wunder, dass die Männer um sie herum am Tor-haus nur ganz leise sprachen und direkten Augenkontakt mit ihnen vermieden, so als hätten sie es mit Todgeweihten zu tun, die mehr Mitleid als Bewunderung verdienten. Als Gerolt kurz einen Blick zur Seite wagte, stellte er fest, dass sich auch bei Tarik nicht ein Muskel im Gesicht regte. Seine Züge wirkten wie eingefroren. Sein Freund schien irgendeinen imaginären Punkt jenseits des Tores zu fixieren. Dasselbe galt für die beiden Tempelritter Wilhelm von Cafran und Wilhelm von Villiers, beide lang gediente Kreuzritter des Tempels und Männer aus dem Hochadel, denen die undankbare Aufgabe oblag, das Angebot des Königs zu überbringen. Ihre Mienen drückten angespannte Gefasstheit aus. »Sind die Herren Tempelritter bereit?«, fragte der Wachhabende im Torhaus, das zum St.-Nikolaus-Wehrturm gehörte. Wilhelm von Villiers tauschte mit seinen Begleitern einen raschen, stummen Blick und nickte dann knapp. »Öffnet das Tor und lasst die Zugbrücke herunter!«, befahl er und nahm die Zügel seines Pferdes auf. Das Tor schwang auf und die Zugbrücke senkte sich unter dem Rasseln der Ketten. Der Schatten der schützenden Mauern glitt noch einmal kurz über sie hinweg, als sie auf der anderen Seite aus dem stark befestigten Torhaus herauskamen. Dumpf dröhnten die Bohlen der Zugbrücke unter den Hufen ihrer Tiere. Und dann ritten sie über das freie Feld auf das gewaltige Heerlager der Mamelucken zu. Eine auffällige, angespannte Stille lag über dem Kriegsschauplatz. Auf beiden Seiten schwiegen die Schleudern und Katapulte. Die Zeichen der Fahnenschwenker, dass Akkon eine Gesandtschaft zum Sultan schicken wollte, waren vom Feind erkannt worden. Gerolt schluckte mehrmals heftig, während die turmbewehrten Wälle mit ihrer trügerischen Sicherheit in ihrem Rücken immer mehr zusammenschrumpften und gleichzeitig das gewaltige Zeltlager des Sultans näher rückte. Nach dem unablässigen, wochenlangen Beschuss empfand er diese unwirkliche Stille als bedrohlicher als den vielfältigen Schlachtenlärm. Kein Kriegsgeschrei, kein Sirren von Wolken gefiederter Pfeile, kein Aufplatzen von mörderischen Feuertöpfen und kein Bersten von Holz und Mauerwerk drangen an sein Ohr. Und dennoch lag tödliche Ge fahr in der Luft. Er glaubte, sie förmlich mit den Händen greifen zu können. Ihr Weg führte sie zwischen zwei hoch aufragenden Belagerungstürmen hindurch, deren Mannschaften sie stumm, aber mit unverhohlenem Hass in ihren Blicken vorbeiziehen ließen. Sie schienen nur darauf zu warten, dass man ihnen den Befehl gab, sich auf sie zu stürzen und sie niederzumachen. »Mutig ist der Dieb, der eine Lampe in der Hand trägt«, murmelte Tarik leise, sodass nur Gerolt ihn verstehen konnte, und warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Der Großmeister hat gut daran getan, dass er nicht auch noch Maurice und McIvor mitgeschickt hat«, raunte Gerolt zurück. »Vielleicht hätten auch wir mehr an unsere neue Aufgabe denken sollen, mit der uns der Abbé betrauen wird, als an unsere Templerehre.« »Ja, das hätten wir wohl«, stimmte Tarik ihm zu. Sie verfielen wieder in Schweigen und rückten näher zu den beiden Gesandten des Königs auf. Als sie nur noch eine halbe Meile von den ersten Zeltreihen am Fuß des Tell el-Fukar trennte, löste sich dort eine Reitergruppe aus dem Schatten einer Baumgruppe. Es war der Sultan el-Ashraf Khalil, der ihnen höchstpersönlich zusammen mit seinem Vertrauten, dem Emir Shudashai, sowie einem Gefolge von einem Dutzend Kriegern entgegenritt. Die Lanzenspitzen und Krummsäbel der Leibgarde funkelten im Sonnenlicht. Der noch junge Sultan trug einen weißen, goldgesäumten Kaftan aus allerfeinstem Gewebe und mit weiten Ärmeln. Weiß war auch das Tuch seines kunstvoll gewickelten Turbans, den ein goldener Halbmond zierte. Ein kostbarer Scimitar, dessen goldene Scheide mit Edelsteinen besetzt
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