Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
würde notfalls bis zum bitteren Ende kämpfen. Also erübrigte sich auch darüber jede Diskussion. Erst als sie sich wieder hinter den Wällen von Akkon befanden und sich die beiden hochadligen Templer unverzüglich zu Guillaume von Beaujeau und dem König begaben, wollte Gerolt von seinem Freund wissen, welcher Teufel ihn dazu veranlasst hatte, den Sultan mit einer derartigen Bemerkung herauszufordern. Tarik zuckte die Achseln. »Manchmal gelingt es, dass sogar ein ungeschicktes Kind aus Versehen mit einem Pfeil ins Ziel trifft«, gab er mit breitem Grinsen zur Antwort. »Und was hatten wir schon groß zu verlieren, Gerolt? Zu jenem Zeitpunkt hielt ich unsere Lage für aussichtslos. Wenn ich mich nicht täusche, hat dieser seltsame weiße Greif unser Leben gerettet. Und es würde mich gar nicht wundern, wenn dieser Mann dort mit seinem plötzlichen Erscheinen über unseren Köpfen etwas zu tun gehabt hat.« Und dabei deutete er zur Plattform des Verfluchten Turms hinauf. Gerolt hob den Kopf, blickte zum Turm hinüber und erkannte nun auch die Gestalt, die dort stand. Es war kein anderer als der alte Gralshüter Abbé Villard!
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Das ist der Anfang vom Ende!«, lautete McIvors düste rer Kommentar, als die Verteidiger der Stadt am fol genden Tag den Neuen Turm aufgaben und ihm selber den Todesstoß versetzten, indem sie ihn in Brand steckten. Der Dauerbeschuss des Feindes hatte diesen hölzernen Wehrturm mittlerweile so schwer beschädigt, dass er nicht länger zu halten war. Er ging nun unter den Brandfackeln der Deutschritter lichterloh in Flammen auf und das Feuer des in sich zusammenstürzenden Turms loderte bis tief in die Nacht. Gerolt, der mit seinen Freunden das niederschmetternde Geschehen von der Templerschanze aus gut im Blick hatte, musste unwillkürlich an die Worte denken, mit denen Tarik den Sultan bei seiner Ehre gepackt hatte. »Wenn sich nur genug Mücken zusammenrotten, können sie selbst einen Elefanten besiegen! Ein wahres Wort, Tarik! Der Elefant Akkon beginnt, zu wanken und in die Knie zu gehen!« Auch Maurice teilte die bedrückende Einschätzung ihrer Lage. »Nun werden wir den Abbé wohl nicht mehr lange warten lassen müssen, damit er uns die zweite Weihe erteilen kann und wir erfahren, welche besondere Aufgabe er uns zugedacht hat und wohin wir den heiligen Kelch überhaupt bringen sollen!« Der Fall des vorgeschobenen Wehrturms in der nordöstlichen Ecke der äußeren Befestigungsanlage stellte einen entscheidenden Wendepunkt in der Verteidigung der Stadt dar. Nun vermochte sich auch der zuversichtlichste unter den Eingeschlosse nen nicht länger der Einsicht zu verschließen, dass Akkons Tage gezählt waren. Denn inzwischen hatten die Pioniere des Sultans auch an anderen Stellen unterirdische Stollen weit vorangetrieben und trotz verzweifelter Gegenmaßnahmen damit begonnen, Türme und Wälle zu untergraben. An der Nordwestseite zeigten der Turm der Gräfin von Blois sowie der Englische Turm erste Risse, die ein baldiges Einstürzen ankündigten. Auch begannen die ersten Mauerstücke beim St.-Antons-Tor und beim St.-Nikolaus-Turm einzubrechen. Damit war Akkon reif für einen konzentrierten Sturmangriff des Mamelukenheers, zumal den feindlichen Truppen jetzt auch eine große Zahl von Belagerungstürmen zum Einsatz bereitstand und der Festungsgraben schon an vielen Stellen mit Steinen und Sandsäcken aufgefüllt war. Bei dem gewaltigen Heer, das der Sultan befehligte, hatte er den hohen Verlust an wagemutigen Kriegern, die sich, mit Füllmaterial beladen, so nahe an die Wälle herangewagt hatten, leicht in Kauf nehmen können. Ein weiteres böses Omen, das auf das nahende Ende des Verteidigungskampfes hinwies, war die recht überstürzte Abreise des jungen Königs. Er ließ verlauten, dass es seine Pflicht gegenüber seinem Königreich gebot, nicht in die Gefangenschaft des Feindes zu geraten. Manche zeigten für seine Flucht Verständnis, doch die Mehrzahl der Ritter, die mit ihren Großmeistern bis zum bitteren Ende bleiben und kämpfen wollten, beschuldigte ihn ganz offen der Feigheit. Mit dem König schifften sich auch sein Bruder Amalrich und der Erzbischof sowie viele der einst mächtigen Stadtbarone ein, um sich mit ihren Familien und Bediensteten nach Zypern in Sicherheit zu bringen. Man versprach, so bald wie möglich ausreichend Schiffe aus den zyprischen Häfen zu requirieren und nach Akkon zu beordern, damit auch jeder andere eine Chance für eine rechtzeitige Flucht
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