Die Bruderschaft
Fernsehwerbespot für den Kandidaten Lake. Er begann mit einer kurzen Einstellung, die eine Reihe grimmig blickender chinesischer Generäle zeigte. Sie nahmen eine Militärparade ab, und vor ihnen rollten Kolonnen mit schwerem Gerät vorbei. »Glauben Sie, dass die Welt sicherer geworden ist?« fragte eine tiefe, ernste Stimme aus dem Off. Dann kamen kurze Aufnahmen der aktuellen Bösewichter der Welt, die allesamt Militärparaden abnahmen: Saddam Hussein, Gaddafi, Milosevic, Kim. Sogar Bilder des armen Castro und seiner zerlumpten Armee würden für eine Sekunde über Amerikas Bildschirme flimmern. »Unsere Armee wäre im Augenblick nicht imstande, den Auftrag zu erfüllen, den sie 1991 im Golfkrieg erfüllt hat«, sagte die Stimme so unheilverkündend, als wäre bereits ein neuer Krieg ausgebrochen. Dann eine Explosion, gefolgt von einem Atompilz, und Tausende von Indern tanzten auf den Straßen. Eine zweite Explosion, und Tausende von Pakistanis taten dasselbe.
»China will Taiwan besetzen«, fuhr der Sprecher fort, während eine Million chinesischer Soldaten im Gleichschritt marschierten. »Nordkorea will in Südkorea einmarschieren«, sagte er, während Panzer durch die entmilitarisierte Zone rollten. »Und die Vereinigten Staaten sind immer ein leichtes Ziel.«
Eine neue Stimme war zu hören. Sie klang heller, und im Bild erschien ein mit zahlreichen Orden geschmückter General, der zu den Mitgliedern eines Kongressausschusses sprach. »Sie, die gewählten Vertreter dieses Volkes, geben mit jedem Jahr weniger für die Verteidigung aus. Das diesjährige Verteidigungsbudget ist niedriger als vor fünfzehn Jahren. Sie erwarten von uns, für einen Krieg in Korea, im Nahen Osten und jetzt auch auf dem Balkan gerüstet zu sein, aber die Ausgaben für das Militär sinken und sinken. Die Situation ist kritisch.« Der Bildschirm wurde dunkel und dann sagte die erste Stimme: »Vor zwölf Jahren gab es noch zwei Weltmächte. Jetzt gibt es keine mehr.« Dann erschien das gutaussehende Gesicht von Aaron Lake, und der Sprecher sagte: »Wählen Sie Lake, bevor es zu spät ist!«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt«, sagte York nach kurzem Schweigen.
»Warum nicht?«
»Es ist so negativ.«
»Gut. Ihnen ist unbehaglich zumute, nicht?«
»Allerdings.«
»Umso besser. Wir werden das eine Woche lang zu allen möglichen Zeiten im Fernsehen laufen lassen, und ich nehme an, dass die bislang geringe Zustimmung für Lake noch mehr abnehmen wird. Dieser Spot erzeugt Unbehagen, und das wird den Leuten nicht gefallen.«
York kannte den Plan. Den Leuten würde tatsächlich unbehaglich zumute sein, und sie würden die Spots nicht mögen. Aber dann würde man ihnen Angst machen, und Lake würde auf einmal ein visionärer Führer sein. Teddy hatte vor, die Angst zu erzeugen.
In Trumble gab es in jedem Flügel zwei Fernsehzimmer -kleine, kahle Räume, in denen man rauchen und sich die Sendungen ansehen konnte, die die Wärter ausgesucht hatten. Es gab keine Fernbedienung. Das hatte man probiert, aber es hatte zu viel Ärger gegeben. Die bei weitem schlimmsten Streitigkeiten waren immer dann ausgebrochen, wenn die Männer sich nicht auf ein Programm hatten einigen können. Also lag die Programmgestaltung bei den Wärtern.
Die Gefangenen durften in ihren Zellen keine Fernsehgeräte haben.
Der Dienst habende Wärter hatte eine Vorliebe für Basketball. Auf dem Sportkanal lief ein Spiel zwischen College-Mannschaften, und der Raum war voller Gefangener, die zusahen. Hatlee Beech hasste Sport. Er saß allein in dem anderen Raum und sah sich eine seichte Familienkomödie nach der anderen an. Als er noch Richter mit einem Zwölf-Stunden-Tag gewesen war, hatte er nie ferngesehen. Dafür war einfach keine Zeit gewesen. Er hatte zu Hause ein Arbeitszimmer gehabt, in dem er bis spät in der Nacht Urteilsbegründungen auf ein Diktiergerät sprach, während alle anderen vor dem Fernseher klebten. Als er sich jetzt dieses geistlose Zeug ansah, begriff er, wie viel Glück er gehabt hatte. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Er zündete sich eine Zigarette an. Seit dem Studium hatte er nicht mehr geraucht und in den ersten zwei Monaten in Trumble hatte er der Versuchung noch widerstanden. Jetzt half ihm das Rauchen, die Langeweile zu ertragen, doch er beschränkte sich auf eine Schachtel täglich. Sein Blutdruck war mal zu hoch, mal zu niedrig. Herzkrankheiten waren in seiner Familie häufig. Er war sechsundfünfzig, hatte noch neun Jahre
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