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Die Bruderschaft

Die Bruderschaft

Titel: Die Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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müde, erschöpfte Überbleibsel der sechziger Jahre aus, das sie tatsächlich war. Finn war nicht gerade begeistert, als er erfuhr, dass seine Frau ihn im Besuchsraum erwartete.
    Sie hieß Carmen Topolski-Yocoby, ein Name, den sie zeit ihres Erwachsenenlebens wie eine Waffe gebraucht hatte. Sie war eine radikal feministische Anwältin aus Oakland und vertrat hauptsächlich lesbische Frauen, die wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vor Gericht zogen. Jede ihrer Mandantinnen war eine wütende Frau, die gegen einen wütenden Arbeitgeber klagte. Es war eine anstrengende Arbeit.
    Sie war seit dreißig Jahren mit Finn verheiratet, auch wenn sie nicht immer zusammen gelebt hatten. Beide hatten auch andere Partner gehabt. Einmal, als Frischverheiratete, hatten sie in einem Haus gelebt, das eine einzige Wohngemeinschaft gewesen war, und jede Woche eine neue Kombination ausprobiert. Beide hatten Affären gehabt, wie es ihnen beliebte. Sechs Jahre lang hatten sie in chaotischer Monogamie gelebt und zwei Kinder gezeugt, von denen keines es zu etwas gebracht hatte.
    Sie hatten sich 1965 auf den Schlachtfeldern Berkeleys kennen gelernt. Beide studierten Jura, beide protestierten gegen den Krieg und alle anderen Übel dieser Welt, beide verschrieben sich der hohen Ethik gesellschaftlicher Veränderungen. Sie warben unablässig dafür, sich in die Wählerregister eintragen zu lassen. Sie setzten sich für die Würde der Wanderarbeiter ein. Sie wurden während der Tet-Offensive verhaftet. Sie ketteten sich an Redwoodbäume. Sie bekämpften den Einfluss der bibeltreuen Christen an den Schulen. Sie zogen im Namen der Wale vor Gericht. Sie marschierten durch die Straßen San Franciscos und machten bei Demonstrationen für oder gegen alles und jedes mit.
    Und sie tranken viel, waren begeisterte Partygänger und stürzten sich kopfüber in die Drogenkultur. Sie wohnten mal hier, mal da und schliefen mit jedem, der ihnen gefiel, und das war auch in Ordnung, denn sie definierten ihre Moral selbst. Immerhin kämpften sie doch für die mexikanischen Einwanderer und die Redwoods! Sie mussten einfach gute Menschen sein!
    Jetzt waren sie nur noch müde.
    Es war ihr peinlich, dass ihr Mann, ein brillanter Jurist, der es irgendwie zum Oberrichter am Obersten Gerichtshof von Kalifornien gebracht hatte, in einem Bundesgefängnis saß. Er dagegen war ziemlich froh, dass dieses Gefängnis nicht in Kalifornien, sondern in Florida lag, denn sonst hätte sie ihn womöglich häufiger besucht. Seine erste Knast-Station war Bakersfield gewesen, aber irgendwie war es ihm gelungen, sich verlegen zu lassen.
    Sie schrieben einander keine Briefe und telefonierten nie. Sie war auf der Durchreise zu einer Schwester in Miami.
    »Du bist ganz schön braun«, sagte sie. »Gut siehst du aus.«
    Und du siehst aus wie eine verschrumpelte alte Pflaume, dachte er. Verdammt, sie
    wirkte wirklich uralt und verbraucht.
    »Wie geht’s dir?« fragte er, obwohl es ihn eigentlich nicht interessierte. »Ich hab viel zu tun. Ich arbeite zu viel.«
    »Das ist gut.« Gut, dass sie arbeitete und genug verdiente. Das hatte sie im Lauf der Jahre immer wieder mal getan. Es würde noch fünf Jahre dauern, bis Finn den Staub Trumbles von den bloßen, hornhäutigen Füßen würde schütteln können. Er hatte nicht die Absicht, zu ihr oder auch nur nach Kalifornien zurückzukehren. Wenn er lebend hier rauskam - was er täglich bezweifelte -, würde er fünfundsechzig sein, und es war sein Traum, ein Land zu finden, wo FBI und CIA und all die anderen Gangster von den abgekürzten Regierungsorganisationen nichts zu sagen hatten. Finn hasste die Regierung so sehr, dass er vorhatte, seine Staatsbürgerschaft aufzugeben und eine andere anzunehmen.
    »Trinkst du noch?« fragte er. Er selbst trank natürlich nicht mehr. Hin und wieder kaufte er einem der Wärter ein bisschen Gras ab.
    »Im Augenblick bin ich noch nüchtern - danke der Nachfrage.«
    Jede Frage war ein Affront, jede Antwort eine Spitze. Er fragte sich schon, warum sie überhaupt gekommen war. Da sagte sie es ihm.
    »Ich will mich scheiden lassen.«
    Er zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Wozu die Mühe? Stattdessen lautete sein Kommentar: »Vielleicht keine schlechte Idee.«
    »Ich habe jemanden kennen gelernt.«
    »Mann oder Frau?« fragte er, mehr aus Neugier. Ihn konnte nichts mehr überraschen.
    »Einen jüngeren Mann.«
    Wieder zuckte er die Schultern und beinahe hätte er gesagt: Dann halt ihn gut

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