Die Brücke am Kwai
Hauptmanns Reeves und die Organisation richtig zu werten, die unter dem Antrieb des Obersten Nicholson geschaffen worden war, doch sie waren sich wohl darüber im klaren, daß es sich hier nicht um ein unförmiges Gerüst in dem gewohnten japanischen Stil handelte. Die primitiven Völker bringen der Kunst und der Wissenschaft unbewußt Achtung entgegen.
»Um Gottes willen!« sagte manchmal Shears ungeduldig.
»Das ist ja eine neue >Georges Washington Bridge<, die sie da errichten, wenn unsere Leute die Wahrheit sagen. Sie wollen wohl unsere Freunde, die Yankees, eifersüchtig machen!«
Diese unverschämte Breite, dieses fast Luxuriöse (es gab auf der Brücke, wie die Thailänder sagten, eine ziemlich breite Fahrbahn neben der Eisenbahnstrecke, die zwei sich begegnenden Lastwagen Raum gewährte) machten Shears neugierig und beunruhigten ihn. Ein so beachtliches Bauwerk würde sicherlich Gegenstand einer besonderen Überwachung sein. Andererseits würde sie vielleicht eine strategisch noch größere Bedeutung haben, als er es sich vorgestellt hatte, und der Schlag, den er führen wollte, würde um so gelungener sein.
Die Eingeborenen sprachen ebensooft von den Gefangenen.
Sie hatten sie fast nackt unter einer sengenden Sonne rastlos arbeiten sehen. Alle drei Männer vergaßen dabei für einen Augenblick ihr Vorhaben, um an ihre unglücklichen Landsleute zu denken. Sie wußten, wie die Japaner vorzugehen pflegten, und sie konnten sich leicht vorstellen, wie weit sie in ihrem barbarischen Auftreten gehen würden, um die Fertigstellung eines solchen Bauwerks voranzutreiben.
»Wenn sie nur wüßten, daß wir gar nicht weit von ihnen sind, Sir«, hatte Joyce eines Tages gesagt, »und wenn sie nur eine Ahnung hätten, daß diese Brücke niemals benutzt werden wird, dann würde ihre Moral sicherlich besser sein.«
»Kann sein«, hatte Shears geantwortet, »aber ich will um keinen Preis mit ihnen in Verbindung treten. Das geht einfach nicht, Joyce. Unser Beruf verlangt selbst unseren Freunden gegenüber Geheimhaltung. Ihre Phantasie würde mit ihnen durchgehen. Sie würden sich anstrengen, uns helfen zu wollen, und dabei im Gegenteil vielleicht alles gefährden, falls sie sich bemühten, den Brückenbau auf ihre Weise zu sabotieren. Sie würden die Japaner warnen und sich unnötigerweise entsetzlichen Vergeltungsmaßnahmen aussetzen. Man muß sie aus dem geplanten Vorhaben ganz heraushalten.«
Eines Tages hatte Shears angesichts der einzigartigen Wunderdinge, die ihm täglich vom Kwai-Fluß her zugetragen wurden und die er nicht glauben konnte, jählings einen Entschluß gefaßt.
»Einer von uns muß dorthin gehen. Die Arbeit geht ihrem Ende entgegen, und wir können uns nicht mehr länger auf die Berichte dieser guten Leute verlassen, die mir fanatisch erscheinen. Sie werden gehen, Joyce. Das wird für Sie ein ausgezeichnetes Training sein. Ich will wissen, welchem Brückentyp diese hier ähnlich sieht, haben Sie mich verstanden? Welche genauen Ausmaße sie hat. Wieviel Brückenpfeiler gibt es? Verschaffen Sie mir genaue Zahlenangaben. Wie kann man sich ihr nähern? Wie wird sie bewacht? Was für Möglichkeiten zum Eingreifen gibt es? Sie werden Ihr Bestes tun, ohne sich allzusehr zu exponieren. Es kommt hauptsächlich darauf an, daß Sie nicht gesehen werden; daran müssen Sie immer denken; aber um Gottes willen, bringen Sie mir genaue Angaben über diese verfluchte Brücke!«
2
»Ich habe sie mit dem Fernglas gesehen, sowie ich Sie sehe, Sir.«
»Fangen Sie von vorn an«, wiederholte Shears trotz seiner Ungeduld. »Wie war der Marsch dorthin?«
Joyce war eines Abends in Begleitung von zwei Eingeborenen losgezogen, die an nächtliche, schweigende Unternehmungen gewöhnt waren, da sie durch den Schmuggel von Opiumklumpen und Kisten mit Zigaretten von Burma nach Thailand bereits dafür vorgebildet waren. Sie versicherten, daß die von ihnen benutzten Fußpfade sicher seien; doch es war so wichtig, die Anwesenheit von Europäern in der Nähe der Eisenbahnlinie geheimzuhalten, daß Joyce Wert daraufgelegt hatte, sich als thailändischer Bauer zu verkleiden und sich die Haut mit einem braunen, für eine derartige Gelegenheit in Kalkutta vorbereiteten Präparat zu färben.
Er hatte sich schnell davon überzeugt, daß seine Führer nicht gelogen hatten. Die wirklichen Feinde in diesem Dschungel waren die Moskitos und vor allen Dingen die Blutegel, die sich an seine ungeschützten Beine hefteten und von da über
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