Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Krieg erklärt, indem man einen Speer auf das Hoheitsgebiet des Feindes schleuderte, und genau das werde ich tun, morgen Nachmittag vor meinem versammelten Volk.« Sie klatschte in die Hände. »Womit noch ein Punkt zu besprechen wäre. Ella?«
Elena erhob das Wort. »Signori, ich habe Nachricht von Gurvon Gyle erhalten.« Alle hielten den Atem an. »Er bot mir eine kaiserliche Amnestie an und die Rückerstattung meines Vermögens, wenn ich mich von Euch abwende.« Sie machte eine verächtliche Geste. »Ich hoffe, ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich abgelehnt habe, und ich bin sicher, Gyle wusste, dass ich so reagieren würde. Doch habe ich etwas Wichtiges dabei herausgefunden: Die Kommunikation wurde gnostisch verstärkt. Wir Magi tun das nur, wenn wir über extrem große Entfernungen kommunizieren. Dabei entsteht ein, wenn auch sehr leises Echo.« Sie beugte sich vor. »Begreift Ihr, was das bedeutet? Gurvon Gyle hält sich nicht in Javon auf! Andernfalls wäre die Verstärkung nicht notwendig gewesen. Er ist nach Yuros zurückgekehrt!« Sie grinste. »Wahrscheinlich um seinen Auftraggebern zu erklären, warum Cera Nesti noch am Leben ist. Das verschafft uns die Gelegenheit, den Krieg vor die Tür unseres Feindes zu tragen.« Sie hob den Kopf. »Eine Gelegenheit, Signori, die ich beabsichtige, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.«
Am letzten Tag des Novelev schleuderte Cera der alten Tradition ihres Volkes gemäß einen Speer auf ein Stück Land, das mit den Bannern der Gorgio geschmückt war. Tausende Rimonier und Jhafi jubelten ihr zu. Drui und Gottessprecher peitschten die ohnehin schon aufgebrachte Menge noch weiter an. Überall erschallten zornige Rufe, als die Priester an die Gräueltaten der Dorobonen erinnerten, an die Ermordung von König Olfuss und Königin Fadah Nesti, an das Schicksal der armen Prinzessin Solinde, die von den feigen Gorgio gefangen gehalten und für ihre Zwecke missbraucht wurde. Unter Hochrufen der Rimonier und Jhafi wurde Cera zur Königin-Regentin ausgerufen, dann setzte sie sich zu Emir Ilan, während Speisen und Wein verteilt wurden. Traditionelle Musik wurde gespielt, und alle tanzten. Sie waren im Krieg.
Wer nach der Magusfrau Ausschau hielt, der Leibwächterin der Königin-Regentin Cera, suchte vergebens, denn Elena Anborn war bereits Hunderte Meilen weit weg an Bord eines Windschiffs auf dem Weg nach Brochena.
Feindkontakt
Die Noros-Revolte
Die Noros-Revolte der Jahre 909–910 war der emotionalste und gleichzeitig erfolgloseste aller Versuche eines Vasallenstaates, sich nach den Kriegszügen der Ausbeutung durch Pallas zu erwehren. Je höher die Schuldenlast der Kaiserkrone stieg, desto mehr mussten die kleineren Königreiche bezahlen. Die Norer gingen davon aus, sie könnten durch eine Reihe schnell aufeinanderfolgender Siege ihre Nachbarstaaten, die sich in einer ähnlichen Misere befanden, dazu bewegen, sich der Revolte anzuschließen, und so den Weg für Verhandlungen bereiten. Nach mehreren durch Nachlässigkeit verursachten Rückschlägen besiegten die Rondelmarer jedoch die norischen Legionen. Die viel geschmähte Kapitulation der strategisch wichtigen Stadt Lukhazan beschleunigte lediglich das Unausweichliche.
Die Bestrafung war hart: Der König wurde hingerichtet, sein Erbe eingekerkert, alle Macht einem von Pallas eingesetzten Gouverneur übertragen und das Land von rondelmarischen Legionen besetzt. Noros stagniert seither.
Ordo Costruo, Pontus
Kaiserlicher Sommerhof in Bres,
Rondelmar auf dem Kontinent Yuros
Novelev 927
8 Monate bis zur Mondflut
Mit Elena zu verhandeln war ein unnötiges Risiko gewesen. Es war dumm. Glaubten sie wirklich, sie wäre so blöd, sich einfach zu ergeben? Es zeigte in aller Deutlichkeit, mit welch bescheidenen Denkern er es hier zu tun hatte. Lucia war nicht da gewesen, sie hatte ihre Pflichten als Heilige zu erfüllen, und Kaiser Constant hatte darauf bestanden. Ohne die Unterstützung der Kaiserinmutter war es unmöglich gewesen, Constant den Befehl zu verweigern. Gurvon hatte versucht, so wenig wie möglich preiszugeben, aber es war schwer zu sagen, wie viel Elena herausgehört hatte.
Allein machte er sich auf den Weg zu einem der vielen Geheimzimmer, dem natürlichen Lebensraum des kaiserlichen Verschwörers. Belonius war bereits dort. In dem Moment, da sie die Nachricht von Elenas Verrat erhalten hatten, war er auf Distanz zu Gyle gegangen. Nichts anderes war zu erwarten gewesen. Das war Vult, wie er leibte und
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