Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
angenommen.
Dann hast du sie nie gekannt.
Verdammt, Elena, hör mir zu! Ergib dich mir, und ich werde dich beschützen. Du bist meine einzige Verbindung zu den alten Zeiten, zu den Tagen der Revolte. Es waren ruhmreiche Tage, voll Lebensfreude und Jagdfieber, die beste Zeit unseres Lebens! Samir kümmert mich einen feuchten Dreck, genauso wie Vedya. Du bist es, die ich will, Elena. Du warst es immer .
Mit feuchten Augen starrte sie den Tonklumpen an. Ja, es gab schöne Erinnerungen: wie sie sich unter Brücken versteckt hatten, unterm freien Sternenhimmel miteinander geschlafen hatten, der Fuchs, der direkt vor ihrem Gesicht vorbeigeschlichen war, der ständige Wechsel zwischen Anspannung und Lachen. Gurvon, wie er sie küsste, in sie eindrang, sie endlich wieder etwas spüren ließ …
Doch es gab auch andere Erinnerungen: wie sie ihr Messer einem nichtsahnenden Wachmann zwischen die Schulterblätter stieß. Blut, das aus der Kehle eines Bauernjungen spritzte, weil er zufällig mitten in einen Überfall hineingestolpert war. Männer, die brannten wie Fackeln oder hilflos erstickten, weil sie ihre Lungen mit Wasser gefüllt hatte. Die Schreie des rondelmarischen Offiziers, als Sordell ihm mit einem glühenden Schürhaken die Augen ausbrannte. Erinnerungen, die sie so gerne für immer auslöschen würde.
Vergiss es, Gurvon. Ich werde das Letzte sein, was du siehst, nicht umgekehrt.
Der tönerne Mund verzog sich zornig. Dann ist es also wahr: Du bist eine Safia geworden. Hast du dich in deine kleine Princessa verknallt?
Werd erwachsen, Gurvon . Sie spürte, wie Galle ihre Kehle hochstieg. Ich habe hier etwas gefunden, was du nicht kennst. Etwas, das es wert ist, erhalten zu werden. Die Menschen hier sind gute Menschen, und ich bin jetzt eine von ihnen. Das ist mehr wert als all dein Geld. Oder das, was du Liebe nennst.
Seit wann kümmert Elena Anborn sich um Dinge wie Liebe oder Zugehörigkeit? Was bei Hel ist mit dir passiert? Er klang aufrichtig verwirrt.
Das war eine gute Frage. Elena wusste selbst nicht, ob sie die Antwort kannte, und trotzdem würde sie bleiben, wo sie war. Ich kann es dir nicht erklären, Gurvon. Dazu bräuchte es noch so viele andere Worte, deren Bedeutung du nicht kennst.
Dann bist du tot, Elena. Du hast soeben dein eigenes Todesurteil unterzeichnet.
Der Tonklumpen nahm plötzlich die Gestalt eines übergroßen Flohs an und sprang ihr ins Gesicht. Er zerplatzte an Ellas Schilden, bildete sich aber noch im Fallen neu, um sofort wieder anzugreifen.
Elena hüllte ihn in blaues Feuer und brannte ihn trocken. Mit Genugtuung hörte sie Gurvons leises Stöhnen.
War das dein bester Trick, Ella? , höhnte Gurvon noch, dann zerbröckelte der spröde Klumpen, und die Stimme war weg.
Sie legte sich aufs Bett und ging in Gedanken noch einmal das Gespräch durch. Was hatte Gurvon erreichen wollen? Hatte er wirklich geglaubt, sie jetzt noch umstimmen zu können? Wo war er, und was hatte dieses Echo zu bedeuten? Das Echo!
Mit einem Ruck setzte Elena sich auf, warf sich ein Tuch über die Schultern und ging Cera suchen.
Durch die hohen Fenster strömte vormittägliches Licht in den Ratssaal. Sie hatten einen langen Tag vor sich, doch die Atmosphäre war ganz anders als beim letzten Mal. Elena und Cera waren den größten Teil der Nacht wach gewesen und hatten, in Decken gehüllt, über Gurvon Gyle gesprochen. Jetzt galt es, Pläne zu schmieden.
»Guten Morgen, meine Herren. Es ist Zeit, Eure Vorschläge vorzubringen.« Cera blickte Pita Rosco an. »Pita, Ihr und Paolo hattet die Aufgabe, Euch um die Armenhilfe für die Jhafi zu kümmern. Beginnt.«
Pita Rosco umriss die Grundlagen für ein neues Verteilungssystem, von dem die Jhafi nach und nach profitieren würden, ohne den Markt ins Chaos zu stürzen oder das Auskommen der Rimonier zu gefährden. Es ging viel um Anteile, Eigentumsrechte und Anpassung des grundbesitzbasierten Stimmrechts. Elena verlor bald den Anschluss, aber Cera schien aufmerksam zuzuhören. Schließlich verfügte sie die Bildung eines Unterkomitees, das die Sache weiter vorantreiben sollte. Stunde um Stunde verging mit intensiven, aber höflich ausgetragenen Debatten, und die beiden Frauen glaubten beinahe, sie könnten den Tag ohne weitere Streitigkeiten hinter sich bringen.
Was natürlich ein Trugschluss war.
Drui Prato begann mit dem letzten Thema der Tagesordnung: Religion. »Princessa, Ihr habt Gottessprecher Acmed und mich gebeten, eine Lösung für die
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