Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
mit viel Pomade zu zwei komplett geschlossenen Ringen frisiert war.
»Willkommen, willkommen, seid mir dreifach willkommen, edler Herr Meiros!«, rief er mit ausgebreiteten Armen. »Mein Herz erzittert vor Freude, einen so erlesenen Gast begrüßen zu dürfen.« Er verneigte sich tief und führte sie rückwärtsschlurfend zum Palast, während seine acht Frauen die Neuankömmlinge unverhohlen begafften.
Ramita zog ihren Gesichtsschleier etwas höher und folgte ihrem Gatten. Meiros trug wieder seine dunkle Robe mit Kapuze, und bei jedem Schritt berührte sein schwerer schwarzer Stab mit lautem Klacken den Boden. Huriya folgte einen Schritt hinter Ramita und sah sich schamlos alles ganz genau an.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis alle einander vorgestellt waren, dann brachten die Gattinnen des Raja die beiden Mädchen in den Frauenflügel. Die weißen Wände waren mit roten und grünen Blumenmustern bemalt, die geschwungenen Durchgänge waren kunstvoll verziert, aber überall blätterte die Farbe ab, und in den Ecken stapelte sich der Schmutz. Irgendwo sah Ramita einen stillgelegten Brunnen mit veralgtem Teich.
»Wir leben in schwierigen Zeiten«, erklärte die Hauptfrau des Raja, eine dicke Matrone. Sie brachte die beiden zu einer Zweizimmersuite, von der aus sie Blick auf einen Innenhof mit immergrünen Blumenbeeten hatten. Dazwischen stolzierte ein Pfau umher.
Sobald sie allein waren, sprang Huriya in die Luft vor Freude. »Getrennte Zimmer!«, rief sie. »Eine ganze Nacht ohne dein Schnarchen. Das nenne ich Leben!«
»Und eine ganze Nacht ohne dein Furzen«, konterte Ramita. »Pure Glückseligkeit!«
Sie streckten einander die Zunge raus, dann schlugen sie lachend die Verbindungstür zu.
Diener brachten sie zu den Waschräumen. Keine der beiden hatte je im Leben einen Diener gehabt, und es war ein eigenartiges Gefühl, vor den Augen Fremder die weiten Badesalware überzustreifen. Aber das Wasser war warm und parfümiert, sogar ein paar Rosenblüten trieben darin.
Alle acht Frauen gesellten sich zu ihnen, fragten sie nach Baranasi und ihrer bisherigen Reise aus. Die meiste Zeit antwortete Huriya, und Ramita war erstaunt über ihre fantastischen Erzählungen.
Schließlich fragte die Hauptfrau unumwunden: »Haben alle Adelsfrauen im Süden so dunkle Haut?« Die Frauen des Raja hatten helle Haut und waren dick – ganz anders als die beiden Mädchen, die von der Sonne auf dem Markt beinahe schwarz gebacken waren und neben den Gattinnen des Raja aussahen, als seien sie halb verhungert.
»Aber ja«, antwortete Huriya. »Wir in Baranasi sind bekannt für unsere dunkle Haut. Aber jeder weiß, dass die Frauen im Norden die schönste Haut von allen haben.«
Die Gattinnen des Raja gurrten geschmeichelt.
Dann erzählte sie bis ins Detail von dem Palast, in dem Huriya und Ramita aufgewachsen waren. Sie schwadronierte über die neueste Sarimode am Hof von Baranasi, als wäre sie eine Intimfreundin des Emirs. Offenherzig tratschte sie über die Hofdamen, und Ramita nickte ab und zu. Es war wie ein Spiel.
»Nun …« Die Hauptfrau zwinkerte Ramita verschwörerisch zu. »Euer Gatte, er ist sehr alt … Wird sein Werkzeug überhaupt noch hart, wenn es soll?«
Huriya kicherte, als habe sie den Verstand verloren. Ramita lief feuerrot an und dachte darüber nach, sich an Ort und Stelle zu ertränken.
Sie genossen das gute Essen und die vielen Zerstreuungen. Musik-, Tanz- und Zirkusdarbietungen reihten sich endlos aneinander. Feuerschlucker führten ihre Kunststücke vor, danach kam ein Dompteur mit einem Tanzbären herein, aber das Tier war völlig vernarbt und verängstigt – Meiros schnalzte mit der Zunge, um sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen, und der Mann wurde wieder fortgeschickt. Sie wurden durch die Menagerie geführt, wo Vögel in schillerndem Federkleid kopfüber von den Bäumen hängend ihre Lieder zwitscherten, während sich am Boden Schlangen mit glitzernden Schuppen in den Schatten verkrochen. Tiger liefen ruhelos in ihren verkoteten Käfigen auf und ab, ein bemalter Elefant, offensichtlich das Lieblingstier des Raja, ließ Haufen von der Größe eines menschlichen Kopfs auf den Boden fallen, wo sie einfach liegen blieben. Die Mädchen waren fasziniert und angewidert zugleich.
Meiros unterhielt sich lange und eingehend mit dem Raja, dann ließ er nach Ramita rufen. Der Raja lobte ihre Schönheit, aber seine Furcht vor Meiros war so offensichtlich, dass sie nicht viel auf seine Worte gab. Schließlich
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