Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
bestand zu zwei Dritteln aus Schlamm. Krokodile glitten zwischen den Barken umher, mit denen sie über den dunklen, langsam dahinkriechenden Fluss setzten. In einiger Entfernung erhoben sich östlich und westlich die ersten Hügel, die dahinterliegenden wilderen Berge nur eine Andeutung, der Horizont im Norden eine schnurgerade Linie. Die Landschaft war graubraun, das spärliche Gras spröde und trocken. Goldgrüne Bienenfresser flatterten zwischen den Büschen, hoch über ihnen kreisten Habichte. Einmal sahen sie sogar eine Kobra am Straßenrand. Fauchend zog sie sich mit gespreiztem Nackenschild ins Gestrüpp zurück. Und überall waren Menschen: Bauern, die schwarz gebrannt von der Sonne auf den Feldern arbeiteten, abgemagerte Kinder, die ebenso abgemagertes Vieh, zumeist Rinder mit spitzen Hörnern und reizbarem Temperament, vor sich hertrieben. Sie füllten ihre Wasservorräte auf, kauften einen zusätzlichen Wagen für weiteren Proviant und tauschten ihre Pferde gegen alte Kamele ein. In Latakwar lebten ausschließlich Amteh, die einzigen religiösen Bauten waren Dom-al’Ahms, die aussahen, als habe der Wüstenwind sie wie den Rest der Stadt mit einer dicken Sandschicht überzogen. Die Männer trugen Weiß, die Frauen schwarze Bekiras. Sie bewegten sich langsam, wie entrückt, als gäbe es nichts, was sie in dieser knochentrockenen, schweißtreibenden Hitze zur Eile antreiben könnte.
Zwei Nächte blieben sie in Latakwar, und als die zweite Woche des wachsenden Mondes anbrach, vollzog Meiros erneut mit ihr das plumpe, freudlose Hochzeitsritual. Ramita hielt ihren Hintern in die Höhe, während der Magus seinen Samen in sie hineinspritzte. Sie kam sich vor wie ein Stück Vieh. Meiros ließ sie nie seinen Körper sehen, doch die paar flüchtigen Blicke, die sie erhaschte, zeigten einen knochigen, aber für Meiros’ Alter erstaunlich gut geformten Körper. Er ist eitel , dachte sie überrascht.
»Habt Ihr Freude an mir?«, fragte Ramita, als Meiros sich daranmachte, ihr Zimmer zu verlassen. Die Frage kostete sie all ihren Mut.
Er runzelte die Stirn. »Du machst mir Freude, sobald du schwanger bist«, gab er scharf zurück. »Mein Samen ist dünn, wie bei allen Magi. Wir werden hartnäckig sein müssen, und wir werden etwas Glück brauchen.«
»Und den Segen der Götter«, gab Ramita zurück.
Meiros schnaubte. »Ja, das auch.« Dann ließ er sie allein.
Huriya kam herein. Sie kicherte leise. »Ich habe ihn gefragt, wie es war, und er hat mich nur mit großen Augen angeschaut. Ich glaube, er hat tatsächlich Humor, man muss nur ein bisschen danach suchen.«
Ramita war fassungslos über die Unverschämtheit ihrer Freundin. Später betete sie um Sivramans Segen, doch als der Mond wieder voll war, blutete sie wie sonst auch, also wurde ein Blutzelt errichtet, und Ramita verbrachte die Nächte wieder allein. Die Enttäuschung ihres Gatten schwebte über der Karawane wie ein Leichentuch. Ein paar Tage später kam auch Huriya zu ihr ins Blutzelt, und die beiden zogen sich wieder in ihre eigene kleine Welt zurück.
Als Ramitas Blut-Pratta zwei Tage vor Huriyas endete, waren sie bereits Hunderte von Meilen weiter nördlich. Doch die Landschaft hatte sich kaum verändert. In der letzten Woche des Zulqeda – oder Novelev, wie ihr Mann den Monat nannte – war Dunkelmond. Nachts wurde die Luft bitterkalt, und Ramita musste mit zwei Decken schlafen. Sie genoss es, ein paar Tage ihre Ruhe vor Huriya zu haben. Ihre Freundin hatte sich verändert. Aus dem zurückhaltenden Mädchen war eine Heranwachsende geworden, die geradezu besessen war von Reichtum und Männern und von nichts anderem mehr redete. Außerdem ging ihr Huriyas Begeisterung über die Reise auf die Nerven, aber sie konnte es sich nicht leisten, mit ihrer einzigen Freundin zu streiten, also hielt sie den Mund und genoss stattdessen die Zeit allein.
In dieser Nacht kam Meiros nach dem Abendessen und setzte sich neben Ramita an das kleine Feuer, das Lem für sie gemacht hatte.
Mit zitternden Fingern nahm sie das Buch entgegen, das er ihr gebracht hatte. Noch nie zuvor hatte sie auch nur eins in den Händen gehalten. Die eigenartig verschnörkelte Schrift war offensichtlich sehr alt und sagte ihr rein gar nichts. Aber es gab ein paar Abbildungen von seltsamen Menschen mit blasser Haut und noch seltsamerer Kleidung.
»Das ist ein Kinderatlas von Urte«, erklärte Meiros. »Er wird dir helfen, Rondelmarisch zu lernen.«
Wieder eine neue Erfahrung, aber
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